Georg Büchner
        
Dantons Tod. Ein Drama

        Personen:

        Deputierte des Nationalkonvents:
         Georg Danton
         Legendre
         Camille Desmoulins
         Hérault-Séchelles
         Lacroix
         Philippeau
         Fabre d'Eglantine
         Mercier
         Thomas Payne

        Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses:
         Robespierre
         St. Just
         Barère
         Collot d'Herbois
         Billaud-Varennes

        Chaumette, Prokurator des Gemeinderats
        Dillon, ein General
        Fouquier-Tinville, öffentlicher Ankläger
        Amar und Vouland, Mitglieder des Sicherheitsausschusses
        Herman und Dumas, Präsidenten des Revolutionstribunales
        Paris, ein Freund Dantons
        Simon, Souffleur
        Weib Simons
        Laflotte
        Julie, Dantons Gattin
        Lucile, Gattin des Camille Desmoulins
        Rosalie, Adelaide und Marion, Grisetten
        Damen am Spieltisch, Herren und Damen sowie junger Herr und Eugenie auf einer Promenade, Bürger, Bürgersoldaten, Lyoner und andere Deputierte, Jakobiner, Präsidenten des Jakobinerklubs und des Nationalkonvents, Schließer, Henker und Fuhrleute, Männer und Weiber aus dem Volk, Grisetten, Bänkelsänger, Bettler usw.

        
Erster Akt

Erste Szene

        Hérault-Séchelles, einige Damen am Spieltisch. Danton, Julie etwas weiter weg, Danton auf einem Schemel zu den Füßen von Julie.

        Danton. Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! Ja wahrhaftig, sie versteht's; man sagt, sie halte ihrem Manne immer das coeur und anderen Leuten das carreau hin. - Ihr könntet einen noch in die Lüge verliebt machen.

        Julie. Glaubst du an mich?

        Danton. Was weiß ich! Wir wissen wenig voneinander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nacheinander aus, aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder aneinander ab - wir sind sehr einsam.

        Julie. Du kennst mich, Danton.

        Danton. Ja, was man so kennen heißt. Du hast dunkle Augen und lockiges Haar und einen feinen Teint und sagst immer zu mir: lieber Georg! Aber (er deutet ihr auf Stirn und Augen) da, da, was liegt hinter dem? Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren. -

        Eine Dame (zu Hérault). Was haben Sie nur mit Ihren Fingern vor?

        Hérault. Nichts!

        Dame. Schlagen Sie den Daumen nicht so ein, es ist nicht zum Ansehn!

        Hérault. Sehn Sie nur, das Ding hat eine ganz eigne Physiognomie. -

        Danton. Nein, Julie, ich liebe dich wie das Grab.

        Julie (sich abwendend). Oh!

        Danton. Nein, höre! Die Leute sagen, im Grab sei Ruhe, und Grab und Ruhe seien eins. Wenn das ist, lieg ich in deinem Schoß schon unter der Erde. Du süßes Grab, deine Lippen sind Totenglocken, deine Stimme ist mein Grabgeläute, deine Brust mein Grabhügel und dein Herz mein Sarg. -

        Dame. Verloren!

        Hérault. Das war ein verliebtes Abenteuer, es kostet Geld wie alle andern.

        Dame. Dann haben Sie Ihre Liebeserklärungen, wie ein Taubstummer, mit den Fingern gemacht.

        Hérault. Ei, warum nicht? Man will sogar behaupten, gerade die würden am leichtesten verstanden. - Ich zettelte eine Liebschaft mit einer Kartenkönigin an; meine Finger waren in Spinnen verwandelte Prinzen, Sie, Madame, waren die Fee; aber es ging schlecht, die Dame lag immer in den Wochen, jeden Augenblick bekam sie einen Buben. Ich würde meine Tochter dergleichen nicht spielen lassen, die Herren und Damen fallen so unanständig übereinander und die Buben kommen gleich hinten nach. (Camille Desmoulins und Philippeau treten ein.)

        Hérault. Philippeau, welch trübe Augen! Hast du dir ein Loch in die rote Mütze gerissen? Hat der heilige Jakob ein böses Gesicht gemacht? Hat es während des Guillotinierens geregnet? Oder hast du einen schlechten Platz bekommen und nichts sehen können?

        Camille. Du parodierst den Sokrates. Weißt du auch, was der Göttliche den Alcibiades fragte, als er ihn eines Tages finster und niedergeschlagen fand: "Hast du deinen Schild auf dem Schlachtfeld verloren? Bist du im Wettlauf oder im Schwertkampf besiegt worden? Hat ein andrer besser gesungen oder besser die Zither geschlagen?" Welche klassischen Republikaner! Nimm einmal unsere Guillotinenromantik dagegen!

        Philippeau. Heute sind wieder zwanzig Opfer gefallen. Wir waren im Irrtum, man hat die Hebertisten nur aufs Schafott geschickt, weil sie nicht systematisch genug verfuhren, vielleicht auch, weil die Dezemvirn sich verloren glaubten, wenn es nur eine Woche Männer gegeben hätte, die man mehr fürchtete als sie.

        Hérault. Sie möchten uns zu Antediluvianern machen. St. Just säh' es nicht ungern, wenn wir wieder auf allen vieren kröchen, damit uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herrgott erfände.

        Philippeau. Sie würden sich nicht scheuen, zu dem Behuf an Marats Rechnung noch einige Nullen zu hängen. Wie lange sollen wir noch schmutzig und blutig sein wie neugeborne Kinder, Särge zur Wiege haben und mit Köpfen spielen? Wir müssen vorwärts: der Gnadenausschuss muss durchgesetzt, die ausgestoßnen Deputierten müssen wieder aufgenommen werden!

        Hérault. Die Revolution ist in das Stadium der Reorganisation gelangt. - Die Revolution muss aufhören, und die Republik muss anfangen. - In unsern Staatsgrundsätzen muss das Recht an die Stelle der Pflicht, das Wohlbefinden an die der Tugend und die Notwehr an die der Strafe treten. Jeder muss sich geltend machen und seine Natur durchsetzen können. Er mag nun vernünftig oder unvernünftig, gebildet oder ungebildet, gut oder böse sein, das geht den Staat nichts an. Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen. - Jeder muss in seiner Art genießen können, jedoch so, dass keiner auf Unkosten eines andern genießen oder ihn in seinem eigentümlichen Genuss stören darf.

        Camille. Die Staatsform muss ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen muss sich darin abdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder hässlich sein, sie hat einmal das Recht, zu sein, wie sie ist; wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden. - Wir werden den Leuten, welche über die nackten Schultern der allerliebsten Sünderin Frankreich den Nonnenschleier werfen wollen, auf die Finger schlagen. - Wir wollen nackte Götter, Bacchantinnen, olympische Spiele, und von melodischen Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe! - Wir wollen den Römern nicht verwehren, sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen, aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen. - Der göttliche Epikur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Türsteher der Republik werden. - Danton, du wirst den Angriff im Konvent machen!

        Danton. Ich werde, du wirst, er wird. Wenn wir bis dahin noch leben! sagen die alten Weiber. Nach einer Stunde werden sechzig Minuten verflossen sein. Nicht wahr, mein Junge?

        Camille. Was soll das hier? Das versteht sich von selbst.

        Danton. Oh, es versteht sich alles von selbst. Wer soll denn all die schönen Dinge ins Werk setzen?

        Philippeau. Wir und die ehrlichen Leute.

        Danton. Das "und" dazwischen ist ein langes Wort, es hält uns ein wenig weit auseinander; die Strecke ist lang, die Ehrlichkeit verliert den Atem, eh' wir zusammenkommen. Und wenn auch! - den ehrlichen Leuten kann man Geld leihen, man kann bei ihnen Gevatter stehn und seine Töchter an sie verheiraten, aber das ist alles!

        Camille. Wenn du das weißt, warum hast du den Kampf begonnen?

        Danton. Die Leute waren mir zuwider. Ich konnte dergleichen gespreizte Katonen nie ansehn, ohne ihnen einen Tritt zu geben. Mein Naturell ist einmal so. (Er erhebt sich.)

        Julie. Du gehst?

        Danton (zu Julie). Ich muss fort, sie reiben mich mit ihrer Politik noch auf. - (Im Hinausgehn:) Zwischen Tür und Angel will ich euch prophezeien: die Statue der Freiheit ist noch nicht gegossen, der Ofen glüht, wir alle können uns noch die Finger dabei verbrennen. (Ab.)

        Camille. Lasst ihn! Glaubt ihr, er könne die Finger davon lassen, wenn es zum Handeln kömmt?

        Hérault. Ja, aber bloß zum Zeitvertreib, wie man Schach spielt.

        
Zweite Szene


        Eine Gasse. Simon. Sein Weib.

        Simon (schlägt das Weib). Du Kuppelpelz, du runzlige Sublimatpille, du wurmstichiger Sündenapfel!

        Weib. He, Hilfe! Hilfe! (Es kommen Leute gelaufen.)

        Leute. Reißt sie auseinander, reißt sie auseinander!

        Simon. Nein, lasst mich, Römer! Zerschellen will ich dies Geripp! Du Vestalin!

        Weib. Ich eine Vestalin? Das will ich sehen, ich.

         Simon. So reiß ich von den Schultern dein Gewand. Nackt in die Sonne schleudr' ich dann dein Aas. Du Hurenbett, in jeder Runzel deines Leibes nistet Unzucht. (Sie werden getrennt.)

        Erster Bürger. Was gibt's?

        Simon. Wo ist die Jungfrau? Sprich! Nein, so kann ich nicht sagen. Das Mädchen! Nein, auch das nicht. Die Frau, das Weib! Auch das, auch das nicht! Nur noch ein Name; oh, der erstickt mich! Ich habe keinen Atem dafür.

        Zweiter Bürger. Das ist gut, sonst würde der Name nach Schnaps riechen.

        Simon. Alter Virginius, verhülle dein kahl Haupt - der Rabe Schande sitzt darauf und hackt nach deinen Augen. Gebt mir ein Messer, Römer! (Er sinkt um.)

        Weib. Ach, er ist sonst ein braver Mann, er kann nur nicht viel vertragen; der Schnaps stellt ihm gleich ein Bein.

        Zweiter Bürger. Dann geht er mit dreien.

        Weib. Nein, er fällt.

        Zweiter Bürger. Richtig, erst geht er mit dreien, und dann fällt er auf das dritte, bis das dritte selbst wieder fällt.

        Simon. Du bist die Vampirzunge, die mein wärmstes Herzblut trinkt.

        Weib. Lasst ihn nur, das ist so die Zeit, worin er immer gerührt wird; es wird sich schon geben.

        Erster Bürger. Was gibt's denn?

        Weib. Seht ihr: ich saß da so auf dem Stein in der Sonne und wärmte mich, seht ihr - denn wir haben kein Holz, seht ihr -

        Zweiter Bürger. So nimm deines Mannes Nase.

        Weib. Und meine Tochter war da hinuntergegangen um die Ecke - sie ist ein braves Mädchen und ernährt ihre Eltern.

        Simon. Ha, sie bekennt!

        Weib. Du Judas! hättest du nur ein Paar Hosen hinauf zuziehen, wenn die jungen Herren die Hosen nicht bei ihr hinunterließen? Du Branntweinfass, willst du verdursten, wenn das Brünnlein zu laufen aufhört, he? - Wir arbeiten mit allen Gliedern, warum denn nicht auch damit; ihre Mutter hat damit geschafft, wie sie zur Welt kam, und es hat ihr weh getan; kann sie für ihre Mutter nicht auch damit schaffen, he? und tut's ihr auch weh dabei, he? Du Dummkopf!

        Simon. Ha, Lukretia! ein Messer, gebt mir ein Messer, Römer! Ha, Appius Claudius!

        Erster Bürger. Ja, ein Messer, aber nicht für die arme Hure! Was tat sie? Nichts! Ihr Hunger hurt und bettelt. Ein Messer für die Leute, die das Fleisch unserer Weiber und Töchter kaufen. Weh über die, so mit den Töchtern des Volkes huren! Ihr habt Kollern im Leib, und sie haben Magendrücken; ihr habt Löcher in den Jacken, und sie haben warme Röcke; ihr habt Schwielen in den Fäusten, und sie haben Samthände. Ergo, ihr arbeitet, und sie tun nichts; ergo, ihr habt's erworben, und sie haben's gestohlen; ergo, wenn ihr von eurem gestohlnen Eigentum ein paar Heller wiederhaben wollt, müsst ihr huren und betteln; ergo, sie sind Spitzbuben, und man muss sie totschlagen!

        Dritter Bürger. Sie haben kein Blut in den Adern, als was sie uns ausgesaugt haben. Sie haben uns gesagt: schlagt die Aristokraten tot, das sind Wölfe! Wir haben die Aristokraten an die Laternen gehängt. Sie haben gesagt: das Veto frisst euer Brot; wir haben das Veto totgeschlagen. Sie haben gesagt: die Girondisten hungern euch aus; wir haben die Girondisten guillotiniert. Aber sie haben die Toten ausgezogen, und wir laufen wie zuvor auf nackten Beinen und frieren. Wir wollen ihnen die Haut von den Schenkeln ziehen und uns Hosen daraus machen, wir wollen ihnen das Fett auslassen und unsere Suppen mit schmelzen. Fort! Totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!

        Erster Bürger. Totgeschlagen, wer lesen und schreiben kann!

        Zweiter Bürger. Totgeschlagen, wer auswärts geht!

        Alle (schreien). Totgeschlagen! Totgeschlagen! (Einige schleppen einen jungen Menschen herbei.)

        Einige Stimmen. Er hat ein Schnupftuch! ein Aristokrat! an die Laterne! an die Laterne!

        Zweiter Bürger. Was? er schneuzt sich die Nase nicht mit den Fingern? An die Laterne! (Eine Laterne wird heruntergelassen.)

        Junger Mensch. Ach, meine Herren!

        Zweiter Bürger. Es gibt hier keine Herren! An die Laterne!

        Einige (singen).

         Die da liegen in der Erden,

         Von de Würm gefresse werden;

         Besser hangen in der Luft,

         Als verfaulen in der Gruft!

        Junger Mensch. Erbarmen!

        Dritter Bürger. Nur ein Spielen mit einer Hanflocke um den Hals! 's ist nur ein Augenblick, wir sind barmherziger als ihr. Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zappeln, aber wir werden uns losschneiden. - An die Laterne!

        Junger Mensch. Meinetwegen, ihr werdet deswegen nicht heller sehen.

        Die Umstehenden. Bravo! Bravo!

        Einige Stimmen. Lasst ihn laufen! (Er entwischt.)

        (Robespierre tritt auf, begleitet von Weibern und Ohnehosen.)

        Robespierre. Was gibt's da, Bürger?

        Dritter Bürger. Was wird's geben? Die paar Tropfen Bluts vom August und September haben dem Volk die Backen nicht rot gemacht. Die Guillotine ist zu langsam. Wir brauchen einen Platzregen!

        Erster Bürger. Unsere Weiber und Kinder schreien nach Brot, wir wollen sie mit Aristokratenfleisch füttern. He! totgeschlagen, wer kein Loch im Rock hat!

        Alle. Totgeschlagen! Totgeschlagen!

        Robespierre. Im Namen des Gesetzes!

        Erster Bürger. Was ist das Gesetz?

        Robespierre. Der Wille des Volks.

        Erster Bürger. Wir sind das Volk, und wir wollen, dass kein Gesetz sei; ergo ist dieser Wille das Gesetz, ergo im Namen des Gesetzes gibt's kein Gesetz mehr, ergo totgeschlagen!

        Einige Stimmen. Hört den Aristides! hört den Unbestechlichen!

        Ein Weib. Hört den Messias, der gesandt ist, zu wählen und zu richten; er wird die Bösen mit der Schärfe des Schwertes schlagen. Seine Augen sind die Augen der Wahl, seine Hände sind die Hände des Gerichts.

        Robespierre. Armes, tugendhaftes Volk! Du tust deine Pflicht, du opferst deine Feinde. Volk, du bist groß! Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und Donnerschlägen. Aber, Volk, deine Streiche dürfen deinen eignen Leib nicht verwunden; du mordest dich selbst in deinem Grimm. Du kannst nur durch deine eigne Kraft fallen, das wissen deine Feinde. Deine Gesetzgeber wachen, sie werden deine Hände führen; ihre Augen sind untrügbar, deine Hände sind unentrinnbar. Kommt mit zu den Jakobinern! Eure Brüder werden euch ihre Arme öffnen, wir werden ein Blutgericht über unsere Feinde halten.

        Viele Stimmen. Zu den Jakobinern! Es lebe Robespierre! (Alle ab.)

        Simon. Weh mir, verlassen! (Er versucht sich aufzurichten.)

        Weib. Da! (Sie unterstützt ihn.)

        Simon. Ach, meine Baucis! du sammelst Kohlen auf mein Haupt.

        Weib. Da steh!

        Simon. Du wendest dich ab? Ha, kannst du mir vergeben, Porcia? Schlug ich dich? Das war nicht meine Hand, war nicht mein Arm, mein Wahnsinn tat es.

         Sein Wahnsinn ist des armen Hamlet Feind.

         Hamlet tat's nicht, Hamlet verleugnet's.

        Wo ist unsre Tochter, wo ist mein Sannchen?

        Weib. Dort um das Eck herum.

        Simon. Fort zu ihr! Komm, mein tugendreich Gemahl. (Beide ab.)

        
Dritte Szene


        Der Jakobinerklub

        Ein Lyoner. Die Brüder von Lyon senden uns, um in eure Brust ihren bittren Unmut auszuschütten. Wir wissen nicht, ob der Karren, auf dem Ronsin zur Guillotine fuhr, der Totenwagen der Freiheit war, aber wir wissen, dass seit jenem Tage die Mörder Chaliers wieder so fest auf den Boden treten, als ob es kein Grab für sie gäbe. Habt ihr vergessen, dass Lyon ein Flecken auf dem Boden Frankreichs ist, den man mit den Gebeinen der Verräter zudecken muss? Habt ihr vergessen, dass diese Hure der Könige ihren Aussatz nur in dem Wasser der Rhone abwaschen kann? Habt ihr vergessen, dass dieser revolutionäre Strom die Flotten Pitts im Mittelmeere auf den Leichen der Aristokraten muss stranden machen? Eure Barmherzigkeit mordet die Revolution. Der Atemzug eines Aristokraten ist das Röcheln der Freiheit. Nur ein Feigling stirbt für die Republik, ein Jakobiner tötet für sie. Wisst: finden wir in euch nicht mehr die Spannkraft der Männer des 10. August, des September und des 31. Mai, so bleibt uns, wie dem Patrioten Gaillard, nur der Dolch des Kato. (Beifall und verwirrtes Geschrei.)

        Ein Jakobiner. Wir werden den Becher des Sokrates mit euch trinken!

        Legendre (schwingt sich auf die Tribüne). Wir haben nicht nötig, unsere Blicke auf Lyon zu werfen. Die Leute, die seidne Kleider tragen, die in Kutschen fahren, die in den Logen im Theater sitzen und nach dem Diktionär der Akademie sprechen, tragen seit einigen Tagen die Köpfe fest auf den Schultern. Sie sind witzig und sagen, man müsse Marat und Chalier zu einem doppelten Märtyrertum verhelfen und sie in effigie guillotinieren. (Heftige Bewegung in der Versammlung.)

        Einige Stimmen. Das sind tote Leute, ihre Zunge guillotiniert sie.

        Legendre. Das Blut dieser Heiligen komme über sie! Ich frage die anwesenden Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses, seit wann ihre Ohren so taub geworden sind...

        Collot d'Herbois (unterbricht ihn). Und ich frage dich, Legendre, wessen Stimme solchen Gedanken Atem gibt, dass sie lebendig werden und zu sprechen wagen? Es ist Zeit, die Masken abzureißen. Hört! Die Ursache verklagt ihre Wirkung, der Ruf sein Echo, der Grund seine Folge. Der Wohlfahrtsausschuss versteht mehr Logik, Legendre. Sei ruhig! Die Büsten der Heiligen werden unberührt bleiben, sie werden wie Medusenhäupter die Verräter in Stein verwandeln.

        Robespierre. Ich verlange das Wort.

        Die Jakobiner. Hört, hört den Unbestechlichen!

        Robespierre. Wir warteten nur auf den Schrei des Unwillens, der von allen Seiten ertönt, um zu sprechen. Unsere Augen waren offen, wir sahen den Feind sich rüsten und sich erheben, aber wir haben das Lärmzeichen nicht gegeben; wir ließen das Volk sich selbst bewachen, es hat nicht geschlafen, es hat an die Waffen geschlagen. Wir ließen den Feind aus seinem Hinterhalt hervorbrechen, wir ließen ihn anrücken; jetzt steht er frei und ungedeckt in der Helle des Tages, jeder Streich wird ihn treffen, er ist tot, sobald ihr ihn erblickt habt.

        Ich habe es euch schon einmal gesagt: in zwei Abteilungen, wie in zwei Heerhaufen, sind die inneren Feinde der Republik zerfallen. Unter Bannern von verschiedener Farbe und auf den verschiedensten Wegen eilen sie alle dem nämlichen Ziele zu. Die eine dieser Faktionen ist nicht mehr. In ihrem affektierten Wahnsinn suchte sie die erprobtesten Patrioten als abgenutzte Schwächlinge beiseite zu werfen, um die Republik ihrer kräftigsten Arme zu berauben. Sie erklärte der Gottheit und dem Eigentum den Krieg, um eine Diversion zugunsten der Könige zu machen. Sie parodierte das erhabne Drama der Revolution, um dieselbe durch studierte Ausschweifungen bloßzustellen. Héberts Triumph hätte die Republik in ein Chaos verwandelt, und der Despotismus war befriedigt. Das Schwert des Gesetzes hat den Verräter getroffen. Aber was liegt den Fremden daran, wenn ihnen Verbrecher einer anderen Gattung zur Erreichung des nämlichen Zwecks bleiben? Wir haben nichts getan, wenn wir noch eine andere Faktion zu vernichten haben.

        Sie ist das Gegenteil der vorhergehenden. Sie treibt uns zur Schwäche, ihr Feldgeschrei heißt: Erbarmen! Sie will dem Volk seine Waffen und die Kraft, welche die Waffen führt, entreißen, um es nackt und entnervt den Königen zu überantworten.

        Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend - die Tugend, weil ohne sie der Schrecken verderblich, der Schrecken, weil ohne ihn die Tugend ohnmächtig ist. Der Schrecken ist ein Ausfluss der Tugend, er ist nichts anders als die schnelle, strenge und unbeugsame Gerechtigkeit. Sie sagen, der Schrecken sei die Waffe einer despotischen Regierung, die unsrige gliche also dem Despotismus. Freilich! aber so, wie das Schwert in den Händen eines Freiheitshelden dem Säbel gleicht, womit der Satellit des Tyrannen bewaffnet ist. Regiere der Despot seine tierähnlichen Untertanen durch den Schrecken, er hat recht als Despot; zerschmettert durch den Schrecken die Feinde der Freiheit, und ihr habt als Stifter der Republik nicht minder recht. Die Revolutionsregierung ist der Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei.

        Erbarmen mit den Royalisten! rufen gewisse Leute. Erbarmen mit Bösewichtern? Nein! Erbarmen für die Unschuld, Erbarmen für die Schwäche, Erbarmen für die Unglücklichen, Erbarmen für die Menschheit! Nur dem friedlichen Bürger gebührt von seiten der Gesellschaft Schutz.

        In einer Republik sind nur Republikaner Bürger; Royalisten und Fremde sind Feinde. Die Unterdrücker der Menschheit bestrafen, ist Gnade; ihnen verzeihen, ist Barbarei. Alle Zeichen einer falschen Empfindsamkeit scheinen mir Seufzer, welche nach England oder nach Östreich fliegen.

        Aber nicht zufrieden, den Arm des Volkes zu entwaffnen, sucht man noch die heiligsten Quellen seiner Kraft durch das Laster zu vergiften. Dies ist der feinste, gefährlichste und abscheulichste Angriff auf die Freiheit. Nur der höllischste Machiavellismus, doch - nein! Ich will nicht sagen, dass ein solcher Plan in dem Gehirne eines Menschen hätte ausgebrütet werden können! Es mag unwillkürlich geschehen, doch die Absicht tut nichts zur Sache, die Wirkung bleibt die nämliche, die Gefahr ist gleich groß! Das Laster ist das Kainszeichen des Aristokratismus. In einer Republik ist es nicht nur ein moralisches, sondern auch ein politisches Verbrechen; der Lasterhafte ist der politische Feind der Freiheit, er ist ihr um so gefährlicher, je größer die Dienste sind, die er ihr scheinbar erwiesen. Der gefährlichste Bürger ist derjenige, welcher leichter ein Dutzend rote Mützen verbraucht als eine gute Handlung vollbringt.

        Ihr werdet mich leicht verstehen, wenn ihr an Leute denkt, welche sonst in Dachstuben lebten und jetzt in Karossen fahren und mit ehemaligen Marquisinnen und Baronessen Unzucht treiben. Wir dürfen wohl fragen: ist das Volk geplündert, oder sind die Goldhände der Könige gedrückt worden, wenn wir Gesetzgeber des Volks mit allen Lastern und allem Luxus der ehemaligen Höflinge Parade machen, wenn wir diese Marquis und Grafen der Revolution reiche Weiber heiraten, üppige Gastmähler geben, spielen, Diener halten und kostbare Kleider tragen sehen? Wir dürfen wohl staunen, wenn wir sie Einfälle haben, schöngeistern und so etwas vom guten Ton bekommen hören. Man hat vor kurzem auf eine unverschämte Weise den Tacitus parodiert, ich könnte mit dem Sallust antworten und den Katilina travestieren; doch ich denke, ich habe keine Striche mehr nötig, die Porträts sind fertig.

        Keinen Vertrag, keinen Waffenstillstand mit den Menschen, welche nur auf Ausplünderung des Volkes bedacht waren, welche diese Ausplünderung ungestraft zu vollbringen hofften, für welche die Republik eine Spekulation und die Revolution ein Handwerk war! In Schrecken gesetzt durch den reißenden Strom der Beispiele, suchen sie ganz leise die Gerechtigkeit abzukühlen. Man sollte glauben, jeder sage zu sich selbst: “Wir sind nicht tugendhaft genug, um so schrecklich zu sein. Philosophische Gesetzgeber, erbarmt euch unsrer Schwäche! Ich wage euch nicht zu sagen, dass ich lasterhaft bin; ich sage euch also lieber: seid nicht grausam!”

        Beruhige dich, tugendhaftes Volk, beruhigt euch, ihr Patrioten! Sagt euren Brüdern zu Lyon: das Schwert des Gesetzes roste nicht in den Händen, denen ihr es anvertraut habt! - Wir werden der Republik ein großes Beispiel geben. (Allgemeiner Beifall.)

        Viele Stimmen. Es lebe die Republik! Es lebe Robespierre!

        Präsident. Die Sitzung ist aufgehoben.

        
Vierte Szene


        Eine Gasse. Lacroix. Legendre.

        Lacroix. Was hast du gemacht, Legendre! Weißt du auch, wem du mit deinen Büsten den Kopf herunterwirfst?

        Legendre. Einigen Stutzern und eleganten Weibern, das ist alles.

        Lacroix. Du bist ein Selbstmörder, ein Schatten, der sein Original und somit sich selbst ermordet.

        Legendre. Ich begreife nicht.

        Lacroix. Ich dächte, Collot hätte deutlich gesprochen.

        Legendre. Was macht das? Es war, als ob eine Champagnerflasche spränge. Er war wieder betrunken.

        Lacroix. Narren, Kinder und - nun? - Betrunkne sagen die Wahrheit. Wen glaubst du denn, dass Robespierre mit dem Katilina gemeint habe?

        Legendre. Nun?

        Lacroix. Die Sache ist einfach. Man hat die Atheisten und Ultrarevolutionärs aufs Schafott geschickt; aber dem Volk ist nicht geholfen, es läuft noch barfuß in den Gassen und will sich aus Aristokratenleder Schuhe machen. Der Guillotinenthermometer darf nicht fallen; noch einige Grade, und der Wohlfahrtsausschuss kann sich sein Bett auf dem Revolutionsplatz suchen.

        Legendre. Was haben damit meine Büsten zu schaffen?

        Lacroix. Siehst du's noch nicht? Du hast die Contrerevolution offiziell bekanntgemacht, du hast die Dezemvirn zur Energie gezwungen, du hast ihnen die Hand geführt. Das Volk ist ein Minotaurus, der wöchentlich seine Leichen haben muss, wenn er sie nicht auffressen soll.

        Legendre. Wo ist Danton?

        Lacroix. Was weiß ich! Er sucht eben die Mediceische Venus stückweise bei allen Grisetten des Palais-Royal zusammen; er macht Mosaik, wie er sagt. Der Himmel weiß, bei welchem Glied er gerade ist. Es ist ein Jammer, dass die Natur die Schönheit, wie Medea ihren Bruder, zerstückt und sie so in Fragmenten in die Körper gesenkt hat. - Gehn wir ins Palais-Royal! (Beide ab.)

        
Fünfte Szene


        Ein Zimmer. Danton. Marion.

        Marion. Nein, lass mich! So zu deinen Füßen. Ich will dir erzählen.

        Danton. Du könntest deine Lippen besser gebrauchen.

        Marion. Nein, lass mich einmal so. - Meine Mutter war eine kluge Frau; sie sagte mir immer, die Keuschheit sei eine schöne Tugend. Wenn Leute ins Haus kamen und von manchen Dingen zu sprechen anfingen, hieß sie mich aus dem Zimmer gehn; frug ich, was die Leute gewollt hätten, so sagte sie mir, ich solle mich schämen; gab sie mir ein Buch zu lesen, so musst' ich fast immer einige Seiten überschlagen. Aber die Bibel las ich nach Belieben, da war alles heilig; aber es war etwas darin, was ich nicht begriff. Ich mochte auch niemand fragen, ich brütete über mir selbst. Da kam der Frühling; es ging überall etwas um mich vor, woran ich keinen Teil hatte. Ich geriet in eine eigne Atmosphäre, sie erstickte mich fast. Ich betrachtete meine Glieder; es war mir manchmal, als wäre ich doppelt und verschmölze dann wieder in eins. Ein junger Mensch kam zu der Zeit ins Haus; er war hübsch und sprach oft tolles Zeug; ich wusste nicht recht, was er wollte, aber ich musste lachen. Meine Mutter hieß ihn öfters kommen, das war uns beiden recht. Endlich sahen wir nicht ein, warum wir nicht ebensogut zwischen zwei Bettüchern beieinander liegen, als auf zwei Stühlen nebeneinander sitzen durften. Ich fand dabei mehr Vergnügen als bei seiner Unterhaltung und sah nicht ab, warum man mir das geringere gewähren und das größere entziehen wollte. Wir taten's heimlich. Das ging so fort. Aber ich wurde wie ein Meer, was alles verschlang und sich tiefer und tiefer wühlte. Es war für mich nur ein Gegensatz da, alle Männer verschmolzen in einen Leib. Meine Natur war einmal so, wer kann da drüber hinaus? Endlich merkt' er's. Er kam eines Morgens und küsste mich, als wollte er mich ersticken; seine Arme schnürten sich um meinen Hals, ich war in unsäglicher Angst. Da ließ er mich los und lachte und sagte: er hätte fast einen dummen Streich gemacht; ich solle mein Kleid nur behalten und es brauchen, es würde sich schon von selbst abtragen, er wolle mir den Spaß nicht vor der Zeit verderben, es wäre doch das einzige, was ich hätte. Dann ging er; ich wusste wieder nicht, was er wollte. Den Abend saß ich am Fenster; ich bin sehr reizbar und hänge mit allem um mich nur durch eine Empfindung zusammen; ich versank in die Wellen der Abendröte. Da kam ein Haufe die Straße herab, die Kinder liefen voraus, die Weiber sahen aus den Fenstern. Ich sah hinunter: sie trugen ihn in einem Korb vorbei, der Mond schien auf seine bleiche Stirn, seine Locken waren feucht, er hatte sich ersäuft. Ich musste weinen. - Das war der einzige Bruch in meinem Wesen. Die andern Leute haben Sonn- und Werktage, sie arbeiten sechs Tage und beten am siebenten, sie sind jedes Jahr auf ihren Geburtstag einmal gerührt und denken jedes Jahr auf Neujahr einmal nach. Ich begreife nichts davon: ich kenne keinen Absatz, keine Veränderung. Ich bin immer nur eins; ein ununterbrochenes Sehnen und Fassen, eine Glut, ein Strom. Meine Mutter ist vor Gram gestorben; die Leute weisen mit Fingern auf mich. Das ist dumm. Es läuft auf eins hinaus, an was man seine Freude hat, an Leibern, Christusbildern, Blumen oder Kinderspielsachen; es ist das nämliche Gefühl; wer am meisten genießt, betet am meisten.

        Danton. Warum kann ich deine Schönheit nicht ganz in mich fassen, sie nicht ganz umschließen?

        Marion. Danton, deine Lippen haben Augen.

        Danton. Ich möchte ein Teil des Äthers sein, um dich in meiner Flut zu baden, um mich auf jeder Welle deines schönen Leibes zu brechen. (Lacroix, Adelaide, Rosalie treten ein.)

        Lacroix (bleibt in der Tür stehn). Ich muss lachen, ich muss lachen.

        Danton (unwillig). Nun?

        Lacroix. Die Gasse fällt mir ein.

        Danton. Und?

        Lacroix. Auf der Gasse waren Hunde, eine Dogge und ein Bologneser Schoßhündlein, die quälten sich.

        Danton. Was soll das?

        Lacroix. Das fiel mir nun grade so ein, und da musst' ich lachen. Es sah erbaulich aus! Die Mädel guckten aus den Fenstern; man sollte vorsichtig sein und sie nicht einmal in der Sonne sitzen lassen. Die Mücken treiben's ihnen sonst auf den Händen; das macht Gedanken. Legendre und ich sind fast durch alle Zellen gelaufen, die Nönnlein von der Offenbarung durch das Fleisch hingen uns an den Rockschössen und wollten den Segen. Legendre gibt einer die Disziplin, aber er wird einen Monat dafür zu fasten bekommen. Da bringe ich zwei von den Priesterinnen mit dem Leib.

        Marion. Guten Tag, Demoiselle Adelaide! guten Tag, Demoiselle Rosalie!

        Rosalie. Wir hatten schon lange nicht das Vergnügen.

        Marion. Es war mir recht leid.

        Adelaide. Ach Gott, wir sind Tag und Nacht beschäftigt.

        Danton (zu Rosalie). Ei, Kleine, du hast ja geschmeidige Hüften bekommen.

        Rosalie. Ach ja, man vervollkommnet sich täglich.

        Lacroix. Was ist der Unterschied zwischen dem antiken und einem modernen Adonis?

        Danton. Und Adelaide ist sittsam-interessant geworden; eine pikante Abwechslung. Ihr Gesicht sieht aus wie ein Feigenblatt, das sie sich vor den ganzen Leib hält. So ein Feigenbaum an einer so gangbaren Straße gibt einen erquicklichen Schatten.

        Adelaide. Ich wäre ein Herdweg, wenn Monsieur...

        Danton. Ich verstehe; nur nicht böse, mein Fräulein!

        Lacroix. So höre doch! Ein moderner Adonis wird nicht von einem Eber, sondern von Säuen zerrissen; er bekommt seine Wunde nicht am Schenkel, sondern in den Leisten, und aus seinem Blut sprießen nicht Rosen hervor, sondern schießen Quecksilberblüten an.

        Danton. O lass das, Fräulein Rosalie ist ein restaurierter Torso, woran nur die Hüften und Füße antik sind. Sie ist eine Magnetnadel: was der Pol Kopf abstößt, zieht der Pol Fuß an; die Mitte ist ein Äquator, wo jeder eine Sublimattaufe bekömmt, der die Linie passiert.

        Lacroix. Zwei Barmherzige Schwestern; jede dient in einem Spital, d.h. in ihrem eignen Körper.

        Rosalie. Schämen Sie sich, unsere Ohren rot zu machen!

        Adelaide. Sie sollten mehr Lebensart haben! (Adelaide und Rosalie ab.)

        Danton. Gute Nacht, ihr hübschen Kinder!

        Lacroix. Gute Nacht, ihr Quecksilbergruben!

        Danton. Sie dauern mich, sie kommen um ihr Nachtessen.

        Lacroix. Höre, Danton, ich komme von den Jakobinern.

        Danton. Nichts weiter?

        Lacroix. Die Lyoner verlasen eine Proklamation; sie meinten, es bliebe ihnen nichts übrig, als sich in die Toga zu wickeln. Jeder macht ein Gesicht, als wollte er zu seinem Nachbar sagen: Paetus, es schmerzt nicht! - Legendre rief, man wolle Chaliers und Marats Büsten zerschlagen. Ich glaube, er will sich das Gesicht wieder rot machen; er ist ganz aus der Terreur herausgekommen, die Kinder zupfen ihn auf der Gasse am Rock.

        Danton. Und Robespierre?

        Lacroix. Fingerte auf der Tribüne und sagte: die Tugend muss durch den Schrecken herrschen. Die Phrase machte mir Halsweh.

        Danton. Sie hobelt Bretter für die Guillotine.

        Lacroix. Und Collot schrie wie besessen, man müsse die Masken abreißen.

        Danton. Da werden die Gesichter mitgehen. (Paris tritt ein.)

        Lacroix. Was gibt's, Fabricius?

        Paris. Von den Jakobinern weg ging ich zu Robespierre; ich verlangte eine Erklärung. Er suchte eine Miene zu machen wie Brutus, der seine Söhne opfert. Er sprach im allgemeinen von den Pflichten, sagte: der Freiheit gegenüber kenne er keine Rücksicht, er würde alles opfern, sich, seinen Bruder, seine Freunde.

        Danton. Das war deutlich; man braucht nur die Skala herumzukehren, so steht er unten und hält seinen Freunden die Leiter. Wir sind Legendre Dank schuldig, er hat sie sprechen gemacht.

        Lacroix. Die Hebertisten sind noch nicht tot, das Volk ist materiell elend, das ist ein furchtbarer Hebel. Die Schale des Blutes darf nicht steigen, wenn sie dem Wohlfahrtsausschuss nicht zur Laterne werden soll; er hat Ballast nötig, er braucht einen schweren Kopf.

        Danton. Ich weiß wohl - die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eignen Kinder. (Nach einigem Besinnen:) Doch, sie werden's nicht wagen.

        Lacroix. Danton, du bist ein toter Heiliger; aber die Revolution kennt keine Reliquien, sie hat die Gebeine aller Könige auf die Gasse und alle Bildsäulen von den Kirchen geworfen. Glaubst du, man würde dich als Monument stehen lassen?

        Danton. Mein Name! das Volk!

        Lacroix. Dein Name! Du bist ein Gemäßigter, ich bin einer, Camille, Philippeau, Hérault. Für das Volk sind Schwäche und Mäßigung eins; es schlägt die Nachzügler tot. Die Schneider von der Sektion der roten Mütze werden die ganze römische Geschichte in ihrer Nadel fühlen, wenn der Mann des September ihnen gegenüber ein Gemäßigter war.

        Danton. Sehr wahr, und außerdem - das Volk ist wie ein Kind, es muss alles zerbrechen, um zu sehen, was darin steckt.

        Lacroix. Und außerdem, Danton, sind wir lasterhaft, wie Robespierre sagt, d.h. wir genießen; und das Volk ist tugendhaft, d.h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genussorgane stumpf macht, es besäuft sich nicht, weil es kein Geld hat, und es geht nicht ins Bordell, weil es nach Käs und Hering aus dem Hals stinkt und die Mädel davor einen Ekel haben.

        Danton. Es hasst die Genießenden wie ein Eunuch die Männer.

        Lacroix. Man nennt uns Spitzbuben, und (sich zu den Ohren Dantons neigend) es ist, unter uns gesagt, so halbwegs was Wahres dran. Robespierre und das Volk werden tugendhaft sein. St. Just wird einen Roman schreiben, und Barère wird eine Carmagnole schneidern und dem Konvent das Blutmäntelchen umhängen und - ich sehe alles.

        Danton. Du träumst. Sie hatten nie Mut ohne mich, sie werden keinen gegen mich haben; die Revolution ist noch nicht fertig, sie könnten mich noch nötig haben, sie werden mich im Arsenal aufheben.

        Lacroix. Wir müssen handeln.

        Danton. Das wird sich finden.

        Lacroix. Es wird sich finden, wenn wir verloren sind.

        Marion (zu Danton). Deine Lippen sind kalt geworden, deine Worte haben deine Küsse erstickt.

        Danton (zu Marion). So viel Zeit zu verlieren! Das war der Mühe wert! - (Zu Lacroix:) Morgen geh ich zu Robespierre; ich werde ihn ärgern, da kann er nicht schweigen. Morgen also! Gute Nacht, meine Freunde, gute Nacht! ich danke euch!

        Lacroix. Packt euch, meine guten Freunde, Packt euch! Gute Nacht, Danton! Die Schenkel der Demoiselle guillotinieren dich, der Mons Veneris wird dein Tarpejischer Fels. (Ab mit Paris.)

        
Sechste Szene


        Ein Zimmer. Robespierre. Danton. Paris.

        Robespierre. Ich sage dir, wer mir in den Arm fällt, wenn ich das Schwert ziehe, ist mein Feind - seine Absicht tut nichts zur Sache; wer mich verhindert, mich zu verteidigen, tötet mich so gut, als wenn er mich angriffe.

        Danton. Wo die Notwehr aufhört, fängt der Mord an; ich sehe keinen Grund, der uns länger zum Töten zwänge.

        Robespierre. Die soziale Revolution ist noch nicht fertig; wer eine Revolution zur Hälfte vollendet, gräbt sich selbst sein Grab. Die gute Gesellschaft ist noch nicht tot, die gesunde Volkskraft muss sich an die Stelle dieser nach allen Richtungen abgekitzelten Klasse setzen. Das Laster muss bestraft werden, die Tugend muss durch den Schrecken herrschen.

        Danton. Ich verstehe das Wort Strafe nicht. - Mit deiner Tugend, Robespierre! Du hast kein Geld genommen, du hast keine Schulden gemacht, du hast bei keinem Weibe geschlafen, du hast immer einen anständigen Rock getragen und dich nie betrunken. Robespierre, du bist empörend rechtschaffen. Ich würde mich schämen, dreißig Jahre lang mit der nämlichen Moralphysiognomie zwischen Himmel und Erde herumzulaufen, bloß um des elenden Vergnügens willen, andre schlechter zu finden als mich. - Ist denn nichts in dir, was dir nicht manchmal ganz leise, heimlich sagte: du lügst, du lügst!?

        Robespierre. Mein Gewissen ist rein.

        Danton. Das Gewissen ist ein Spiegel, vor dem ein Affe sich quält; jeder putzt sich, wie er kann, und geht auf seine eigne Art auf seinen Spaß dabei aus. Das ist der Mühe wert, sich darüber in den Haaren zu liegen! Jeder mag sich wehren, wenn ein andrer ihm den Spaß verdirbt. Hast du das Recht, aus der Guillotine einen Waschzuber für die unreine Wäsche anderer Leute und aus ihren abgeschlagenen Köpfen Fleckkugeln für ihre schmutzigen Kleider zu machen, weil du immer einen sauber gebürsteten Rock trägst? Ja, du kannst dich wehren, wenn sie dir drauf spucken oder Löcher hineinreißen; aber was geht es dich an, solang sie dich in Ruhe lassen? Wenn sie sich nicht genieren, so herumzugehn, hast du deswegen das Recht, sie ins Grabloch zu sperren? Bist du der Polizeisoldat des Himmels? Und kannst du es nicht ebensogut mitansehn als dein lieber Herrgott, so halte dir dein Schnupftuch vor die Augen.

        Robespierre. Du leugnest die Tugend?

        Danton. Und das Laster. Es gibt nur Epikureer, und zwar grobe und feine, Christus war der feinste; das ist der einzige Unterschied, den ich zwischen den Menschen herausbringen kann. Jeder handelt seiner Natur gemäß, d.h. er tut, was ihm wohltut. - Nicht wahr, Unbestechlicher, es ist grausam, dir die Absätze so von den Schuhen zu treten?

        Robespierre. Danton, das Laster ist zu gewissen Zeiten Hochverrat.

        Danton. Du darfst es nicht proskribieren, ums Himmels willen nicht, das wäre undankbar; du bist ihm zu viel schuldig, durch den Kontrast nämlich. - Übrigens, um bei deinen Begriffen zu bleiben, unsere Streiche müssen der Republik nützlich sein, man darf die Unschuldigen nicht mit den Schuldigen treffen.

        Robespierre. Wer sagt dir denn, dass ein Unschuldiger getroffen worden sei?

        Danton. Hörst du, Fabricius? Es starb kein Unschuldiger! (Er geht; im Hinausgehn zu Paris:) Wir dürfen keinen Augenblick verlieren, wir müssen uns zeigen! (Danton und Paris ab.)

        Robespierre. (allein). Geh nur! Er will die Rosse der Revolution am Bordell halten machen, wie ein Kutscher seine dressierten Gäule; sie werden Kraft genug haben, ihn zum Revolutionsplatz zu schleifen.

        Mir die Absätze von den Schuhen treten! Um bei deinen Begriffen zu bleiben! - Halt! Halt! Ist's das eigentlich? Sie werden sagen, seine gigantische Gestalt hätte zu viel Schatten auf mich geworfen, ich hätte ihn deswegen aus der Sonne gehen heißen. - Und wenn sie recht hätten? Ist's denn so notwendig? Ja, ja! die Republik! Er muss weg.

        Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen. - Er muss weg. Wer in einer Masse, die vorwärts drängt, stehenbleibt, leistet so gut Widerstand, als trät' er ihr entgegen: er wird zertreten.

        Wir werden das Schiff der Revolution nicht auf den seichten Berechnungen und den Schlammbänken dieser Leute stranden lassen; wir müssen die Hand abhauen, die es zu halten wagt - und wenn er es mit den Zähnen packte!

        Weg mit einer Gesellschaft, die der toten Aristokratie die Kleider ausgezogen und ihren Aussatz geerbt hat!

        Keine Tugend! Die Tugend ein Absatz meiner Schuhe! Bei meinen Begriffen! - Wie das immer wiederkommt. - Warum kann ich den Gedanken nicht loswerden? Er deutet mit blutigem Finger immer da, da hin! Ich mag so viel Lappen darum wickeln, als ich will, das Blut schlägt immer durch. - (Nach einer Pause:) Ich weiß nicht, was in mir das andere belügt.

        (Er tritt ans Fenster.) Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu sich vor des Tages Licht verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand und stehlen sich in das stille Haus des Traums. Sie öffnen die Türen, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. - Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum? sind wir nicht Nachtwandler? ist nicht unser Handeln wie das im Traum, nur deutlicher, bestimmter, durchgeführter? Wer will uns darum schelten? In einer Stunde verrichtet der Geist mehr Taten des Gedankens, als der träge Organismus unsres Leibes in Jahren nachzutun vermag. Die Sünde ist im Gedanken. Ob der Gedanke Tat wird, ob ihn der Körper nachspiele, das ist Zufall. (St. Just tritt ein.)

        Robespierre. He, wer da im Finstern? He, Licht, Licht!

        St. Just. Kennst du meine Stimme?

        Robespierre. Ah du, St. Just! (Eine Dienerin bringt Licht.)

        St. Just. Warst du allein?

        Robespierre. Eben ging Danton weg.

        St. Just. Ich traf ihn unterwegs im Palais-Royal. Er machte seine revolutionäre Stirn und sprach in Epigrammen; er duzte sich mit den Ohnehosen, die Grisetten liefen hinter seinen Waden drein, und die Leute blieben stehn und zischelten sich in die Ohren, was er gesagt hatte. - Wir werden den Vorteil des Angriffs verlieren. Willst du noch länger zaudern? Wir werden ohne dich handeln. Wir sind entschlossen.

        Robespierre. Was wollt ihr tun?

        St. Just. Wir berufen den Gesetzgebungs-, den Sicherheits- und den Wohlfahrtsausschuss zu feierlicher Sitzung.

        Robespierre. Viel Umstände.

        St. Just. Wir müssen die große Leiche mit Anstand begraben, wie Priester, nicht wie Mörder; wir dürfen sie nicht verstümmeln, alle ihre Glieder müssen mit hinunter.

        Robespierre. Sprich deutlicher!

        St. Just. Wir müssen ihn in seiner vollen Waffenrüstung beisetzen und seine Pferde und Sklaven auf seinem Grabhügel schlachten: Lacroix -

        Robespierre. Ein ausgemachter Spitzbube, gewesener Advokatenschreiber, gegenwärtig Generalleutnant von Frankreich. Weiter!

        St. Just. Hérault-Séchelles.

        Robespierre. Ein schöner Kopf!

        St. Just. Er war der schöngemalte Anfangsbuchstaben der Konstitutionsakte; wir haben dergleichen Zierat nicht mehr nötig, er wird ausgewischt. - Philippeau. - Camille.

        Robespierre. Auch der?

        St. Just (überreicht ihm ein Papier). Das dacht' ich. Da lies!

        Robespierre. Aha, "Der alte Franziskaner"! Sonst nichts? Er ist ein Kind, er hat über euch gelacht.

        St. Just. Lies hier, hier! (Er zeigt ihm eine Stelle.)

        Robespierre (liest). "Dieser Blutmessias Robespierre auf seinem Kalvarienberge zwischen den beiden Schächern Couthon und Collot, auf dem er opfert und nicht geopfert wird. Die Guillotinen-Betschwestern stehen wie Maria und Magdalena unten. St. Just liegt ihm wie Johannes am Herzen und macht den Konvent mit den apokalyptischen Offenbarungen des Meisters bekannt; er trägt seinen Kopf wie eine Monstranz."

        St. Just. Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen.

        Robespierre (liest weiter). "Sollte man glauben, dass der saubere Frack des Messias das Leichenhemd Frankreichs ist, und dass seine dünnen, auf der Tribüne herumzuckenden Finger Guillotinenmesser sind? - Und du, Barère, der du gesagt hast, auf dem Revolutionsplatz werde Münze geschlagen! Doch - ich will den alten Sack nicht aufwühlen. Er ist eine Witwe, die schon ein halb Dutzend Männer hatte und sie alle begraben half. Wer kann was dafür? Das ist so seine Gabe, er sieht den Leuten ein halbes Jahr vor dem Tode das hippokratische Gesicht an. Wer mag sich auch zu Leichen setzen und den Gestank riechen?"

        Also auch du, Camille? - Weg mit ihnen! Rasch! Nur die Toten kommen nicht wieder. Hast du die Anklage bereit?

        St. Just. Es macht sich leicht. Du hast die Andeutungen bei den Jakobinern gemacht.

        Robespierre. Ich wollte sie schrecken.

        St. Just. Ich brauche nur durchzuführen; die Fälscher geben das Ei und die Fremden den Apfel ab. - Sie sterben an der Mahlzeit, ich gebe dir mein Wort.

        Robespierre. Dann rasch, morgen! Keinen langen Todeskampf! Ich bin empfindlich seit einigen Tagen. Nur rasch! (St. Just ab.)

        Robespierre (allein). Jawohl, Blutmessias, der opfert und nicht geopfert wird. - Er hat sie mit seinem Blut erlöst, und ich erlöse sie mit ihrem eignen. Er hat sie sündigen gemacht, und ich nehme die Sünde auf mich. Er hatte die Wollust des Schmerzes, und ich habe die Qual des Henkers. Wer hat sich mehr verleugnet, ich oder er? - Und doch ist was von Narrheit in dem Gedanken. - Was sehen wir nur immer nach dem Einen? Wahrlich, der Menschensohn wird in uns allen gekreuzigt, wir ringen alle im Gethsemanegarten im blutigen Schweiß, aber es erlöst keiner den andern mit seinen Wunden.

        Mein Camille! - Sie gehen alle von mir - es ist alles wüst und leer - ich bin allein.

        
Zweiter Akt


        
Erste Szene


        Ein Zimmer. Danton. Lacroix. Philippeau. Paris. Camille Desmoulins.

        Camille. Rasch, Danton, wir haben keine Zeit zu verlieren!

        Danton (er kleidet sich an). Aber die Zeit verliert uns. Das ist sehr langweilig, immer das Hemd zuerst und dann die Hosen drüber zu ziehen und des Abends ins Bett und morgens wieder herauszukriechen und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen; da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und dass Millionen es schon so gemacht haben, und dass Millionen es wieder so machen werden, und dass wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das nämliche tun, so dass alles doppelt geschieht - das ist sehr traurig.

        Camille. Du sprichst in einem ganz kindlichen Ton.

        Danton. Sterbende werden oft kindisch.

        Lacroix. Du stürzest dich durch dein Zögern ins Verderben, du reißest alle deine Freunde mit dir. Benachrichtige die Feiglinge, dass es Zeit ist, sich um dich zu versammeln, fordere sowohl die vom Tale als die vom Berge auf! Schreie über die Tyrannei der Dezemvirn, sprich von Dolchen, rufe Brutus an, dann wirst du die Tribünen erschrecken und selbst die um dich sammeln, die man als Mitschuldige Héberts bedroht! Du musst dich deinem Zorn überlassen. Lasst uns wenigstens nicht entwaffnet und erniedrigt wie der schändliche Hébert sterben!

        Danton. Du hast ein schlechtes Gedächtnis, du nanntest mich einen toten Heiligen. Du hattest mehr recht, als du selbst glaubtest. Ich war bei den Sektionen; sie waren ehrfurchtsvoll, aber wie Leichenbitter. Ich bin eine Reliquie, und Reliquien wirft man auf die Gasse, du hattest recht.

        Lacroix. Warum hast du es dazu kommen lassen?

        Danton. Dazu? Ja, wahrhaftig, es war mir zuletzt langweilig. Immer im nämlichen Rock herumzulaufen und die nämlichen Falten zu ziehen! Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem eine Saite immer nur einen Ton angibt! - 's ist nicht zum Aushalten. Ich wollte mir's bequem machen. Ich habe es erreicht; die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte.

        Übrigens, auf was sich stützen? Unsere Huren könnten es noch mit den Guillotinen-Betschwestern aufnehmen; sonst weiß ich nichts. Es lässt sich an den Fingern herzählen: die Jakobiner haben erklärt, dass die Tugend an der Tagesordnung sei, die Cordeliers nennen mich Héberts Henker, der Gemeinderat tut Buße, der Konvent - das wäre noch ein Mittel! aber es gäbe einen 31. Mai, sie würden nicht gutwillig weichen. Robespierre ist das Dogma der Revolution, es darf nicht ausgestrichen werden. Es ginge auch nicht. Wir haben nicht die Revolution, sondern die Revolution hat uns gemacht.

        Und wenn es ginge - ich will lieber guillotiniert werden als guillotinieren lassen. Ich hab es satt; wozu sollen wir Menschen miteinander kämpfen? Wir sollten uns nebeneinander setzen und Ruhe haben. Es wurde ein Fehler gemacht, wie wir geschaffen wurden; es fehlt uns etwas, ich habe keinen Namen dafür - aber wir werden es einander nicht aus den Eingeweiden herauswühlen, was sollen wir uns drum die Leiber aufbrechen? Geht, wir sind elende Alchymisten!

        Camille. Pathetischer gesagt, würde es heißen: wie lange soll die Menschheit in ewigem Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder: wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen? oder: wie lange sollen wir Algebraisten im Fleisch beim Suchen nach dem unbekannten, ewig verweigerten X unsere Rechnungen mit zerfetzten Gliedern schreiben?

        Danton. Du bist ein starkes Echo.

        Camille. Nicht wahr, ein Pistolenschuss schallt gleich wie ein Donnerschlag. Desto besser für dich, du solltest mich immer bei dir haben.

        Philippeau. Und Frankreich bleibt seinen Henkern?

        Danton. Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei. Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? - Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist noch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Kulissen und können im Abgehen noch hübsch gestikulieren und die Zuschauer klatschen hören. Das ist ganz artig und passt für uns; wir stehen immer auf dem Theater, wenn wir auch zuletzt im Ernst erstochen werden.

        Es ist recht gut, dass die Lebenszeit ein wenig reduziert wird; der Rock war zu lang, unsere Glieder konnten ihn nicht ausfüllen. Das Leben wird ein Epigramm, das geht an; wer hat auch Atem und Geist genug für ein Epos in fünfzig oder sechzig Gesängen? 's ist Zeit, dass man das bisschen Essenz nicht mehr aus Zubern, sondern aus Likörgläschen trinkt; so bekommt man doch das Maul voll, sonst konnte man kaum einige Tropfen in dem plumpen Gefäß zusammenrinnen machen.

        Endlich - ich müsste schreien; das ist mir der Mühe zuviel, das Leben ist nicht die Arbeit wert, die man sich macht, es zu erhalten.

        Paris. So flieh, Danton!

        Danton. Nimmt man das Vaterland an den Schuhsohlen mit? Und endlich - und das ist die Hauptsache: sie werden's nicht wagen. (Zu Camille:) Komm, mein Junge; ich sage dir, sie werden's nicht wagen. Adieu, adieu! (Danton und Camille ab.)

        Philippeau. Da geht er hin.

        Lacroix. Und glaubt kein Wort von dem, was er gesagt hat. Nichts als Faulheit! Er will sich lieber guillotinieren lassen als eine Rede halten.

        Paris. Was tun?

        Lacroix. Heimgehn und als Lukretia auf einen anständigen Fall studieren.

        
Zweite Szene


        Eine Promenade. Spaziergänger.

        Ein Bürger. Meine gute Jacqueline - ich wollte sagen Korn... wollt ich: Kor...

        Simon. Kornelia, Bürger, Kornelia.

        Bürger. Meine gute Kornelia hat mich mit einem Knäblein erfreut.

        Simon. Hat der Republik einen Sohn geboren.

        Bürger. Der Republik, das lautet zu allgemein; man könnte sagen...

        Simon. Das ist's gerade, das Einzelne muss sich dem Allgemeinen...

        Bürger. Ach ja, das sagt meine Frau auch.

        Bänkelsänger (singt).

         Was doch ist, was doch ist

         Aller Männer Freud' und Lüst'?

        Bürger. Ach, mit den Namen, da komm ich gar nicht ins reine.

        Simon. Tauf ihn Pike, Marat!

        Bänkelsänger.

         Unter Kummer, unter Sorgen

         Sich bemühn vom frühen Morgen,

         Bis der Tag vorüber ist.

        Bürger. Ich hätte gern drei - es ist doch was mit der Zahl Drei - und dann was Nützliches und was Rechtliches; jetzt hab ich's: Pflug, Robespierre. Und dann das dritte?

        Simon. Pike.

        Bürger. Ich dank Euch, Nachbar; Pike, Pflug, Robespierre, das sind hübsche Namen, das macht sich schön.

        Simon. Ich sage dir, die Brust deiner Kornelia wird wie das Euter der römischen Wölfin - nein, das geht nicht: Romulus war ein Tyrann, das geht nicht. (Gehn vorbei.)

        Ein Bettler (singt). "Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos..." Liebe Herren, schöne Damen!

        Erster Herr. Kerl, arbeite, du siehst ganz wohlgenährt aus!

        Zweiter Herr. Da! (Er gibt ihm Geld.) Er hat eine Hand wie Sammet. Das ist unverschämt.

        Bettler. Mein Herr, wo habt Ihr Euren Rock her?

        Zweiter Herr. Arbeit, Arbeit! Du könntest den nämlichen haben; ich will dir Arbeit geben, komm zu mir, ich wohne...

        Bettler. Herr, warum habt Ihr gearbeitet?

        Zweiter Herr. Narr, um den Rock zu haben.

        Bettler. Ihr habt Euch gequält, um einen Genuss zu haben; denn so ein Rock ist ein Genuss, ein Lumpen tut's auch.

        Zweiter Herr. Freilich, sonst geht's nicht.

        Bettler. Dass ich ein Narr wäre! Das hebt einander. Die Sonne scheint warm an das Eck, und das geht ganz leicht. (Singt:) "Eine Handvoll Erde und ein wenig Moos..."

        Rosalie (zu Adelaiden). Mach fort, da kommen Soldaten! Wir haben seit gestern nichts Warmes in den Leib gekriegt.

        Bettler. "Ist auf dieser Erde einst mein letztes Los!" Meine Herren, meine Damen!

        Soldat. Halt! Wo hinaus, meine Kinder? (Zu Rosalie:) Wie alt bist du?

        Rosalie. So alt wie mein kleiner Finger.

        Soldat. Du bist sehr spitz.

        Rosalie. Und du sehr stumpf.

        Soldat. So will ich mich an dir wetzen. (Er singt:)

         Christinlein, lieb Christinlein mein,

         Tut dir der Schaden weh, Schaden weh,

         Schaden weh, Schaden weh?

        Rosalie (singt).

         Ach nein, ihr Herrn Soldaten,

         Ich hätt' es gerne meh, gerne meh,

         Gerne meh, gerne meh!

        (Danton und Camille treten auf.)

        Danton. Geht das nicht lustig? - Ich wittre was in der Atmosphäre; es ist, als brüte die Sonne Unzucht aus. - Möchte man nicht drunter springen, sich die Hosen vom Leibe reißen und sich über den Hintern begatten wie die Hunde auf der Gasse? (Gehn vorbei.)

        Junger Herr. Ach, Madame, der Ton einer Glocke, das Abendlicht an den Bäumen, das Blinken eines Sterns...

        Madame. Der Duft einer Blume! Diese natürlichen Freuden, dieser reine Genuss der Natur! (Zu ihrer Tochter:) Sieh, Eugenie, nur die Tugend hat Augen dafür.

        Eugenie (küsst ihrer Mutter die Hand). Ach, Mama, ich sehe nur Sie.

        Madame. Gutes Kind!

        Junger Herr (zischelt Eugenien ins Ohr). Sehen Sie dort die hübsche Dame mit dem alten Herrn?

        Eugenie. Ich kenne sie.

        Junger Herr. Man sagt, ihr Friseur habe sie à l'enfant frisiert.

        Eugenie (lacht). Böse Zunge!

        Junger Herr. Der alte Herr geht nebenbei; er sieht das Knöspchen schwellen und führt es in die Sonne spazieren und meint, er sei der Gewitterregen, der es habe wachsen machen.

        Eugenie. Wie unanständig! Ich hätte Lust, rot zu werden.

        Junger Herr. Das könnte mich blass machen. (Gehn ab.)

        Danton (zu Camille). Mute mir nur nichts Ernsthaftes zu! Ich begreife nicht, warum die Leute nicht auf der Gasse stehenbleiben und einander ins Gesicht lachen. Ich meine, sie müssten zu den Fenstern und zu den Gräbern heraus lachen, und der Himmel müsse bersten, und die Erde müsse sich wälzen vor Lachen. (Gehn ab.)

        Erster Herr. Ich versichre Sie, eine außerordentliche Entdeckung! Alle technischen Künste bekommen dadurch eine andere Physiognomie. Die Menschheit eilt mit Riesenschritten ihrer hohen Bestimmung entgegen.

        Zweiter Herr. Haben Sie das neue Stück gesehen? Ein babylonischer Turm! Ein Gewirr von Gewölben, Treppchen, Gängen, und das alles so leicht und kühn in die Luft gesprengt. Man schwindelt bei jedem Tritt. Ein bizarrer Kopf. (Er bleibt verlegen stehn.)

        Erster Herr. Was haben Sie denn?

        Zweiter Herr. Ach, nichts! Ihre Hand, Herr! die Pfütze - so! Ich danke Ihnen. Kaum kam ich vorbei; das konnte gefährlich werden!

        Erster Herr. Sie fürchteten doch nicht?

        Zweiter Herr. Ja, die Erde ist eine dünne Kruste; ich meine immer, ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. - Man muss mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen. Aber gehn Sie ins Theater, ich rat es Ihnen!

        
Dritte Szene


        Ein Zimmer. Danton. Camille. Lucile.

        Camille. Ich sage euch, wenn sie nicht alles in hölzernen Kopien bekommen, verzettelt in Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. Schnitzt einer eine Marionette, wo man den Strick hereinhängen sieht, an dem sie gezerrt wird und deren Gelenke bei jedem Schritt in fünffüßigen Jamben krachen - welch ein Charakter, welche Konsequenz! Nimmt einer ein Gefühlchen, eine Sentenz, einen Begriff und zieht ihm Rock und Hosen an, macht ihm Hände und Füße, färbt ihm das Gesicht und lässt das Ding sich drei Akte hindurch herumquälen, bis es sich zuletzt verheiratet oder sich totschießt - ein Ideal! Fiedelt einer eine Oper, welche das Schweben und Senken im menschlichen Gemüt wiedergibt wie eine Tonpfeife mit Wasser die Nachtigall - ach, die Kunst!

        Setzt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: die erbärmliche Wirklichkeit! - Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Kopisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, um und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts. Sie gehen ins Theater, lesen Gedichte und Romane, schneidenden Fratzen darin die Gesichter nach und sagen zu Gottes Geschöpfen: wie gewöhnlich! - Die Griechen wussten, was sie sagten, wenn sie erzählten, Pygmalions Statue sei wohl lebendig geworden, habe aber keine Kinder bekommen.

        Danton. Und die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern. (Danton wird hinausgerufen.)

        Camille. Was sagst du, Lucile?

        Lucile. Nichts, ich seh dich so gern sprechen.

        Camille. Hörst mich auch?

        Lucile. Ei freilich!

        Camille. Hab ich recht? Weißt du auch, was ich gesagt habe?

        Lucile. Nein, wahrhaftig nicht. (Danton kommt zurück.)

        Camille. Was hast du?

        Danton. Der Wohlfahrtsausschuss hat meine Verhaftung beschlossen. Man hat mich gewarnt und mir einen Zufluchtsort angeboten. Sie wollen meinen Kopf; meinetwegen. Ich bin der Hudeleien überdrüssig. Mögen sie ihn nehmen. Was liegt daran? Ich werde mit Mut zu sterben wissen; das ist leichter, als zu leben.

        Camille. Danton, noch ist's Zeit!

        Danton. Unmöglich - aber ich hätte nicht gedacht...

        Camille. Deine Trägheit!

        Danton. Ich bin nicht träg, aber müde; meine Sohlen brennen mich.

        Camille. Wo gehst du hin?

        Danton. Ja, wer das wüsste!

        Camille. Im Ernst, wohin?

        Danton. Spazieren, mein Junge, spazieren. (Er geht.)

        Lucile. Ach, Camille!

        Camille. Sei ruhig, lieb Kind!

        Lucile. Wenn ich denke, dass sie dies Haupt -! Mein Camille! das ist Unsinn, gelt, ich bin wahnsinnig?

        Camille. Sei ruhig, Danton und ich sind nicht eins.

        Lucile. Die Erde ist weit, und es sind viel Dinge drauf - warum denn gerade das eine? Wer sollte mir's nehmen? Das wäre arg. Was wollten sie auch damit anfangen?

        Camille. Ich wiederhole dir: du kannst ruhig sein. Gestern sprach ich mit Robespierre: er war freundlich. Wir sind ein wenig gespannt, das ist wahr; verschiedne Ansichten, sonst nichts!

        Lucile. Such ihn auf!

        Camille. Wir saßen auf einer Schulbank. Er war immer finster und einsam. Ich allein suchte ihn auf und machte ihn zuweilen lachen. Er hat mir immer große Anhänglichkeit gezeigt. Ich gehe.

        Lucile. So schnell, mein Freund? Geh! Komm! Nur das (sie küsst ihn) und das! Geh! Geh! (Camille ab.) Das ist eine böse Zeit. Es geht einmal so. Wer kann da drüber hinaus? Man muss sich fassen. (Singt:)

         Ach Scheiden, ach Scheiden, ach Scheiden,

         Wer hat sich das Scheiden erdacht?

        Wie kommt mir grad das in Kopf? Das ist nicht gut, dass es den Weg so von selbst findet. - Wie er hinaus ist, war mir's, als könnte er nicht mehr umkehren und müsse immer weiter weg von mir, immer weiter.

        Wie das Zimmer so leer ist; die Fenster stehn offen, als hätte ein Toter drin gelegen. Ich halt es da oben nicht aus. (Sie geht.)

        
Vierte Szene


        Freies Feld

        Danton. Ich mag nicht weiter. Ich mag in dieser Stille mit dem Geplauder meiner Tritte und dem Keuchen meines Atems nicht Lärm machen. (Er setzt sich nieder; nach einer Pause:) Man hat mir von einer Krankheit erzählt, die einem das Gedächtnis verlieren mache. Der Tod soll etwas davon haben. Dann kommt mir manchmal die Hoffnung, dass er vielleicht noch kräftiger wirke und einem alles verlieren mache. Wenn das wäre! - Dann lief ich wie ein Christ, um einen Feind, d.h. mein Gedächtnis, zu retten.

        Der Ort soll sicher sein, ja für mein Gedächtnis, aber nicht für mich; mir gibt das Grab mehr Sicherheit, es schafft mir wenigstens Vergessen. Es tötet mein Gedächtnis. Dort aber lebt mein Gedächtnis und tötet mich. Ich oder es? Die Antwort ist leicht. (Er erhebt sich und kehrt um.)

        Ich kokettiere mit dem Tod; es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln. Eigentlich muss ich über die ganze Geschichte lachen. Es ist ein Gefühl des Bleibens in mir, was mir sagt: es wird morgen sein wie heute, und übermorgen und weiter hinaus ist alles wie eben. Das ist leerer Lärm, man will mich schrecken; sie werden's nicht wagen! (Ab.)

        
Fünfte Szene


        Ein Zimmer. Es ist Nacht.

        Danton (am Fenster). Will denn das nie aufhören? Wird das Licht nie ausglühn und der Schall nie modern? Will's denn nie still und dunkel werden, dass wir uns die garstigen Sünden einander nicht mehr anhören und ansehen? - September! -

        Julie (ruft von innen). Danton! Danton!

        Danton. He?

        Julie (tritt ein). Was rufst du?

        Danton. Rief ich?

        Julie. Du sprachst von garstigen Sünden, und dann stöhntest du: September!

        Danton. Ich, ich? Nein, ich sprach nicht; das dacht' ich kaum, das waren nur ganz leise, heimliche Gedanken.

        Julie. Du zitterst, Danton!

        Danton. Und soll ich nicht zittern, wenn so die Wände plaudern? Wenn mein Leib so zerteilt ist, dass meine Gedanken unstet, umirrend mit den Lippen der Steine reden? Das ist seltsam.

        Julie. Georg, mein Georg!

        Danton. Ja, Julie, das ist sehr seltsam. Ich möchte nicht mehr denken, wenn das gleich so spricht. Es gibt Gedanken, Julie, für die es keine Ohren geben sollte. Das ist nicht gut, dass sie bei der Geburt gleich schreien wie Kinder; das ist nicht gut.

        Julie. Gott erhalte dir deine Sinne! - Georg, Georg, erkennst du mich?

        Danton. Ei warum nicht! Du bist ein Mensch und dann eine Frau und endlich meine Frau, und die Erde hat fünf Weltteile, Europa, Asien, Afrika, Amerika, Australien, und zwei mal zwei macht vier. Ich bin bei Sinnen, siehst du. - Schrie's nicht September? Sagtest du nicht so was?

        Julie. Ja, Danton, durch alle Zimmer hört ich's.

        Danton. Wie ich ans Fenster kam - (er sieht hinaus:) die Stadt ist ruhig, alle Lichter aus...

        Julie. Ein Kind schreit in der Nähe.

        Danton. Wie ich ans Fenster kam - durch alle Gassen schrie und zetert' es: September!

        Julie. Du träumtest, Danton. Fass dich!

        Danton. Träumtest? Ja, ich träumte; doch das war anders, ich will dir es gleich sagen - mein armer Kopf ist schwach - gleich! So, jetzt hab ich's: Unter mir keuchte die Erdkugel in ihrem Schwung; ich hatte sie wie ein wildes Ross gepackt, mit riesigen Gliedern wühlt' ich in ihren Mähnen und presst' ich ihre Rippen, das Haupt abwärts gewandt, die Haare flatternd über dem Abgrund; so ward ich geschleift. Da schrie ich in der Angst, und ich erwachte. Ich trat ans Fenster - und da hört' ich's, Julie. Was das Wort nur will? Warum gerade das? Was hab ich damit zu schaffen? Was streckt es nach mir die blutigen Hände? Ich hab es nicht geschlagen. - O hilf mir, Julie, mein Sinn ist stumpf! War's nicht im September, Julie?

        Julie. Die Könige waren nur noch vierzig Stunden von Paris...

        Danton. Die Festungen gefallen, die Aristokraten in der Stadt...

        Julie. Die Republik war verloren.

        Danton. Ja, verloren. Wir konnten den Feind nicht im Rücken lassen, wir wären Narren gewesen: zwei Feinde auf einem Brett; wir oder sie, der Stärkere stößt den Schwächeren hinunter - ist das nicht billig?

        Julie. Ja, ja.

        Danton. Wir schlugen sie - das war kein Mord, das war Krieg nach innen.

        Julie. Du hast das Vaterland gerettet.

        Danton. Ja, das hab ich; das war Notwehr, wir mussten. Der Mann am Kreuze hat sich's bequem gemacht: es muss ja Ärgernis kommen, doch wehe dem, durch welchen Ärgernis kommt! - Es muss; das war dies Muss. Wer will der Hand fluchen, auf die der Fluch des Muss gefallen? Wer hat das Muss gesprochen, wer? Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?

        Puppen sind wir, von unbekannten Gewalten am Draht gezogen; nichts, nichts wir selbst! die Schwerter, mit denen Geister kämpfen - man sieht nur die Hände nicht, wie im Märchen. - Jetzt bin ich ruhig.

        Julie. Ganz ruhig, lieb Herz?

        Danton. Ja, Julie; komm, zu Bette!

        
Sechste Szene


        Straße vor Dantons Haus. Simon. Bürgersoldaten.

        Simon. Wie weit ist's in der Nacht?

        Erster Bürger. Was in der Nacht?

        Simon. Wie weit ist die Nacht?

        Erster Bürger. So weit als zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang.

        Simon. Schuft, wieviel Uhr?

        Erster Bürger. Sieh auf dein Zifferblatt; es ist die Zeit, wo die Perpendikel unter den Bettdecken ausschlagen.

        Simon. Wir müssen hinauf! Fort, Bürger! Wir haften mit unseren Köpfen dafür. Tot oder lebendig! Er hat gewaltige Glieder. Ich werde vorangehn, Bürger. Der Freiheit eine Gasse! - Sorgt für mein Weib! Eine Eichenkrone werd ich ihr hinterlassen.

        Erster Bürger. Eine Eichelkrone? Es sollen ihr ohnehin jeden Tag Eicheln genug in den Schoß fallen.

        Simon. Vorwärts, Bürger, ihr werdet euch um das Vaterland verdient machen!

        Zweiter Bürger. Ich wollte, das Vaterland machte sich um uns verdient; über all den Löchern, die wir in andrer Leute Körper machen, ist noch kein einziges in unsern Hosen zugegangen.

        Erster Bürger. Willst du, dass dir dein Hosenlatz zuginge? Hä, hä, hä!

        Die andern. Hä, hä, hä!

        Simon. Fort, fort! (Sie dringen in Dantons Haus.)

        
Siebente Szene


        Der Nationalkonvent. Eine Gruppe von Deputierten.

        Legendre. Soll denn das Schlachten der Deputierten nicht aufhören? - Wer ist noch sicher, wenn Danton fällt?

        Ein Deputierter. Was tun?

        Ein anderer. Er muss vor den Schranken des Konvents gehört werden. - Der Erfolg dieses Mittels ist sicher; was sollten sie seiner Stimme entgegensetzen?

        Ein anderer. Unmöglich, ein Dekret verhindert uns.

        Legendre. Es muss zurückgenommen oder eine Ausnahme gestattet werden. - Ich werde den Antrag machen; ich rechne auf eure Unterstützung.

        Der Präsident. Die Sitzung ist eröffnet.

        Legendre (besteigt die Tribüne). Vier Mitglieder des Nationalkonvents sind verflossene Nacht verhaftet worden. Ich weiß, dass Danton einer von ihnen ist, die Namen der übrigen kenne ich nicht. Mögen sie übrigens sein, wer sie wollen, so verlange ich, dass sie vor den Schranken gehört werden. Bürger, ich erkläre es: ich halte Danton für ebenso rein wie mich selbst, und ich glaube nicht, dass mir irgendein Vorwurf gemacht werden kann. Ich will kein Mitglied des Wohlfahrts- oder des Sicherheitsausschusses angreifen, aber gegründete Ursachen lassen mich fürchten, Privathass und Privatleidenschaft möchten der Freiheit Männer entreißen, die ihr die größten Dienste erwiesen haben. Der Mann, welcher im Jahre 1792 Frankreich durch seine Energie rettete, verdient gehört zu werden; er muss sich erklären dürfen, wenn man ihn des Hochverrats anklagt. (Heftige Bewegung.)

        Einige Stimmen. Wir unterstützen Legendres Vorschlag.

        Ein Deputierter. Wir sind hier im Namen des Volkes; man kann uns ohne den Willen unserer Wähler nicht von unseren Plätzen reißen.

        Ein anderer. Eure Worte riechen nach Leichen; ihr habt sie den Girondisten aus dem Munde genommen. Wollt ihr Privilegien? Das Beil des Gesetzes schwebt über allen Häuptern.

        Ein anderer. Wir können unsern Ausschüssen nicht erlauben, die Gesetzgeber aus dem Asyl des Gesetzes auf die Guillotine zu schicken.

        Ein anderer. Das Verbrechen hat kein Asyl, nur gekrönte Verbrecher finden eins auf dem Thron.

        Ein anderer. Nur Spitzbuben appellieren an das Asylrecht.

        Ein anderer. Nur Mörder erkennen es nicht an.

        Robespierre. Die seit langer Zeit in dieser Versammlung unbekannte Verwirrung beweist, dass es sich um große Dinge handelt. Heute entscheidet sich's, ob einige Männer den Sieg über das Vaterland davontragen werden. - Wie könnt ihr eure Grundsätze weit genug verleugnen, um heute einigen Individuen das zu bewilligen, was ihr gestern Chabot, Delaunai und Fabre verweigert habt? Was soll dieser Unterschied zugunsten einiger Männer? Was kümmern mich die Lobsprüche, die man sich selbst und seinen Freunden spendet? Nur zu viele Erfahrungen haben uns gezeigt, was davon zu halten sei. Wir fragen nicht, ob ein Mann diese oder jene patriotische Handlung vollbracht habe; wir fragen nach seiner ganzen politischen Laufbahn. - Legendre scheint die Namen der Verhafteten nicht zu wissen; der ganze Konvent kennt sie. Sein Freund Lacroix ist darunter. Warum scheint Legendre das nicht zu wissen? Weil er wohl weiß, dass nur die Schamlosigkeit Lacroix verteidigen kann. Er nannte nur Danton, weil er glaubt, an diesen Namen knüpfe sich ein Privilegium. Nein, wir wollen keine Privilegien, wir wollen keine Götzen! (Beifall.)

        Was hat Danton vor Lafayette, vor Dumouriez, vor Brissot, Fabre, Chabot, Hébert voraus? Was sagt man von diesen, was man nicht auch von ihm sagen könnte? Habt ihr sie gleichwohl geschont? Wodurch verdient er einen Vorzug vor seinen Mitbürgern? Etwa, weil einige betrogene Individuen und andere, die sich nicht betrügen ließen, sich um ihn reihten, um in seinem Gefolge dem Glück und der Macht in die Arme zu laufen? - Je mehr er die Patrioten betrogen hat, welche Vertrauen in ihn setzten, desto nachdrücklicher muss er die Strenge der Freiheitsfreunde empfinden.

        Man will euch Furcht einflössen vor dem Missbrauche einer Gewalt, die ihr selbst ausgeübt habt. Man schreit über den Despotismus der Ausschüsse, als ob das Vertrauen, welches das Volk euch geschenkt und das ihr diesen Ausschüssen übertragen habt, nicht eine sichre Garantie ihres Patriotismus wäre. Man stellt sich, als zittre man. Aber ich sage euch, wer in diesem Augenblicke zittert, ist schuldig; denn nie zittert die Unschuld vor der öffentlichen Wachsamkeit. (Allgemeiner Beifall.)

        Man hat auch mich schrecken wollen; man gab mir zu verstehen, dass die Gefahr, indem sie sich Danton nähere, auch bis zu mir dringen könne. Man schrieb mir, Dantons Freunde hielten mich umlagert, in der Meinung, die Erinnerung an eine alte Verbindung, der blinde Glauben an erheuchelte Tugenden könnten mich bestimmen, meinen Eifer und meine Leidenschaft für die Freiheit zu mäßigen. - So erkläre ich denn: nichts soll mich aufhalten, und sollte auch Dantons Gefahr die meinige werden. Wir alle haben etwas Mut und etwas Seelengröße nötig. Nur Verbrecher und gemeine Seelen fürchten, ihresgleichen an ihrer Seite fallen zu sehen, weil sie, wenn keine Schar von Mitschuldigen sie mehr versteckt, sich dem Licht der Wahrheit ausgesetzt sehen. Aber wenn es dergleichen Seelen in dieser Versammlung gibt, so gibt es in ihr auch heroische. Die Zahl der Schurken ist nicht groß; wir haben nur wenige Köpfe zu treffen, und das Vaterland ist gerettet. (Beifall.)

        Ich verlange, dass Legendres Vorschlag zurückgewiesen werde. (Die Deputierten erheben sich sämtlich zum Zeichen allgemeiner Beistimmung.)

        St. Just. Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort "Blut" nicht wohl vertragen können. Einige allgemeine Betrachtungen mögen sie überzeugen, dass wir nicht grausamer sind als die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in Konflikt kommt. Eine Änderung in den Bestandteilen der Luft, ein Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine Überschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der physischen Natur, die fast spurlos vorübergegangen sein würde, wenn nicht Leichen auf ihrem Wege lägen.

        Ich frage nun: soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr Rücksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? Soll überhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen Natur, das heißt der Menschheit, umändert, nicht durch Blut gehen dürfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der Revolution sterben?

        Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen; hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen. Das Gelangen zu den einfachsten Erfindungen und Grundsätzen hat Millionen das Leben gekostet, die auf dem Wege starben. Ist es denn nicht einfach, dass zu einer Zeit, wo der Gang der Geschichte rascher ist, auch mehr Menschen außer Atem kommen?

        Wir schließen schnell und einfach: Da alle unter gleichen Verhältnissen geschaffen werden, so sind alle gleich, die Unterschiede abgerechnet, welche die Natur selbst gemacht hat; es darf daher jeder Vorzüge und darf daher keiner Vorrechte haben, weder ein einzelner noch eine geringere oder größere Klasse von Individuen. - Jedes Glied dieses in der Wirklichkeit angewandten Satzes hat seine Menschen getötet. Der 14. Juli, der 10. August, der 31. Mai sind seine Interpunktionszeichen. Er hatte vier Jahre Zeit nötig, um in der Körperwelt durchgeführt zu werden, und unter gewöhnlichen Umständen hätte er ein Jahrhundert dazu gebraucht und wäre mit Generationen interpunktiert worden. Ist es da so zu verwundern, dass der Strom der Revolution bei jedem Absatz, bei jeder neuen Krümmung seine Leichen ausstößt?

        Wir werden unserm Satze noch einige Schlüsse hinzuzufügen haben; sollen einige hundert Leichen uns verhindern, sie zu machen? - Moses führte sein Volk durch das Rote Meer und in die Wüste, bis die alte verdorbne Generation sich aufgerieben hatte, eh' er den neuen Staat gründete. Gesetzgeber! Wir haben weder das Rote Meer noch die Wüste, aber wir haben den Krieg und die Guillotine.

        Die Revolution ist wie die Töchter des Pelias: sie zerstückt die Menschheit, um sie zu verjüngen. Die Menschheit wird aus dem Blutkessel wie die Erde aus den Wellen der Sündflut mit urkräftigen Gliedern sich erheben, als wäre sie zum ersten Male geschaffen. (Langer, anhaltender Beifall. Einige Mitglieder erheben sich im Enthusiasmus.) Alle geheimen Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewändern tragen, fordern wir auf, diesen erhabnen Augenblick mit uns zu teilen. (Die Zuhörer und die Deputierten stimmen die Marseillaise an.)

        
Dritter Akt


        
Erste Szene


        Das Luxembourg. Ein Saal mit Gefangnen. Chaumette, Payne, Mercier, Hérault-Séchelles und andre Gefangne.

        Chaumette (zupft Payne am Ärmel). Hören Sie, Payne, es könnte doch so sein, vorhin überkam es mich so; ich habe heute Kopfweh, helfen Sie mir ein wenig mit Ihren Schlüssen, es ist mir ganz unheimlich zumut.

        Payne. So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. - Es gibt keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht. Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, dass er den Grund alles Seins enthält. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen haben; denn entweder ist die Schöpfung ewig wie Gott, oder sie hat einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muss Gott sie zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muss also, nachdem er eine Ewigkeit geruht, einmal tätig geworden sein, muss also einmal eine Veränderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn anwenden lässt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich wissen, dass die Welt oder dass unser Ich wenigstens vorhanden ist und dass sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in etwas haben muss, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben. Quod erat demonstrandum.

        Chaumette. Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke!

        Mercier. Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schöpfung ewig ist?

        Payne. Dann ist sie schon keine Schöpfung mehr, dann ist sie eins mit Gott oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem, in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das wäre so übel nicht, aber Sie müssen mir zugestehen, dass es gerade nicht viel um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.

        Mercier. Aber eine Ursache muss doch da sein.

        Payne. Wer leugnet dies? Aber wer sagt Ihnen denn, dass diese Ursache das sei, was wir uns als Gott, d.h. als das Vollkommne denken? Halten Sie die Welt für vollkommen?

        Mercier. Nein.

        Payne. Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine vollkommne Ursache schließen? - Voltaire wagte es ebensowenig mit Gott als mit den Königen zu verderben, deswegen tat er es. Wer einmal nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent zu gebrauchen weiß oder wagt, ist ein Stümper.

        Mercier. Ich frage dagegen: kann eine vollkommne Ursache eine vollkommne Wirkung haben, d.h. kann etwas Vollkommnes was Vollkommnes schaffen? Ist das nicht unmöglich, weil das Geschaffne doch nie seinen Grund in sich haben kann, was doch, wie Sie sagten, zur Vollkommenheit gehört?

        Chaumette. Schweigen Sie! Schweigen Sie!

        Payne. Beruhige dich, Philosoph! - Sie haben recht; aber muss denn Gott einmal schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so lässt er es gescheuter ganz bleiben. Ist's nicht sehr menschlich, uns Gott nur als schaffend denken zu können? Weil wir uns immer regen und schütteln müssen, um uns nur immer sagen zu können: wir sind! müssen wir Gott auch dies elende Bedürfnis andichten? - Müssen wir, wenn sich unser Geist in das Wesen einer harmonisch in sich ruhenden, ewigen Seligkeit versenkt, gleich annehmen, sie müsse die Finger ausstrecken und über Tisch Brotmännchen kneten? aus überschwenglichem Liebesbedürfnis, wie wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Müssen wir das alles, bloß um uns zu Göttersöhnen zu machen? Ich nehme mit einem geringern Vater vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen können, dass er mich unter seinem Stande in Schweineställen oder auf den Galeeren habe erziehen lassen.

        Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr Gott demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riss in der Schöpfung von oben bis unten.

        Mercier. Und die Moral?

        Payne. Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! - Was wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und für sich was Böses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht nötig, meine Handlungsweise zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß; was ihr angemessen, ist für mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist für mich bös und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es mir in den Weg kommt. Sie können, wie man so sagt, tugendhaft bleiben und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner verachten zu müssen, was ein gar trauriges Gefühl ist.

        Chaumette. Wahr, sehr wahr!

        Hérault. O Philosoph Anaxagoras, man könnte aber auch sagen: damit Gott alles sei, müsse er auch sein eignes Gegenteil sein, d.h. vollkommen und unvollkommen, bös und gut, selig und leidend; das Resultat freilich würde gleich Null sein, es würde sich gegenseitig heben, wir kämen zum Nichts. - Freue dich, du kömmst glücklich durch: du kannst ganz ruhig in Madame Momoro das Meisterstück der Natur anbeten, wenigstens hat sie dir die Rosenkränze dazu in den Leisten gelassen.

        Chaumette. Ich danke Ihnen verbindlichste meine Herren! (Ab.)

        Payne. Er traut noch nicht, er wird sich zu guter Letzt noch die Ölung geben, die Füße nach Mekka zu legen und sich beschneiden lassen, um ja keinen Weg zu verfehlen.

        (Danton, Lacroix, Camille, Philippeau werden hereingeführt.)

        Hérault (läuft auf Danton zu und umarmt ihn). Guten Morgen! Gute Nacht sollte ich sagen. Ich kann nicht fragen, wie hast du geschlafen -: wie wirst du schlafen?

        Danton. Nun gut, man muss lachend zu Bett gehn.

        Mercier (zu Payne). Diese Dogge mit Taubenflügeln! Er ist der böse Genius der Revolution; er wagte sich an seine Mutter, aber sie war stärker als er.

        Payne. Sein Leben und sein Tod sind ein gleich großes Unglück.

        Lacroix (zu Danton). Ich dachte nicht, dass sie so schnell kommen würden.

        Danton. Ich wusst' es, man hatte mich gewarnt.

        Lacroix. Und du hast nichts gesagt?

        Danton. Zu was? Ein Schlagfluss ist der beste Tod; wolltest du zuvor krank sein? Und - ich dachte nicht, dass sie es wagen würden. (Zu Hérault:) Es ist besser, sich in die Erde legen als sich Leichdörner auf ihr laufen; ich habe sie lieber zum Kissen als zum Schemel.

        Hérault. Wir werden wenigstens nicht mit Schwielen an den Fingern der hübschen Dame Verwesung die Wangen streicheln.

        Camille (zu Danton). Gib dir nur keine Mühe! du magst die Zunge noch so weit zum Hals heraushängen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der Stirne lecken. - O Lucile! Das ist ein großer Jammer! (Die Gefangnen drängen sich um die neu Angekommnen.)

        Danton (zu Payne). Was Sie für das Wohl Ihres Landes getan, habe ich für das meinige versucht. Ich war weniger glücklich, man schickt mich aufs Schafott; meinetwegen, ich werde nicht stolpern.

        Mercier (zu Danton). Das Blut der Zweiundzwanzig ersäuft dich.

        Ein Gefangener (zu Hérault). Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins.

        Ein andrer (zu Camille). Nun, Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der Straßenbeleuchtung hat in Frankreich nicht heller gemacht.

        Ein andrer. Lasst ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort "Erbarmen" gesprochen. (Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.)

        Philippeau. Wir sind Priester, die mit Sterbenden gebetet haben; wir sind angesteckt worden und sterben an der nämlichen Seuche.

        Einige Stimmen. Der Streich, der euch trifft, tötet uns alle.

        Camille. Meine Herren, ich beklage sehr, dass unsere Anstrengungen so fruchtlos waren; ich gehe aufs Schafott, weil mir die Augen über das Los einiger Unglücklichen nass geworden.

        
Zweite Szene


        Ein Zimmer. Fouquier-Tinville. Herman.

        Fouquier. Alles bereit?

        Herman. Es wird schwer halten; wäre Danton nicht darunter, so ginge es leicht.

        Fouquier. Er muss vortanzen.

        Herman. Er wird die Geschwornen erschrecken, er ist die Vogelscheuche der Revolution.

        Fouquier. Die Geschwornen müssen wollen.

        Herman. Ein Mittel wüsst' ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen.

        Fouquier. Nur zu!

        Herman. Wir losen nicht, sondern suchen die Handfesten aus.

        Fouquier. Das muss gehen. - Das wird ein gutes Heckefeuer geben. Es sind ihrer neunzehn. Sie sind geschickt zusammengewörfelt. Die vier Fälscher, dann einige Bankiers und Fremde. Es ist ein pikantes Gericht. Das Volk braucht dergleichen. - Also zuverlässige Leute! Wer zum Beispiel?

        Herman. Leroi. Er ist taub und hört daher nichts von all dem, was die Angeklagten vorbringen. Danton mag sich den Hals bei ihm rauh schreien.

        Fouquier. Sehr gut; weiter!

        Herman. Vilatte und Lumière. Der eine sitzt immer in der Trinkstube, und der andere schläft immer; beide öffnen den Mund nur, um das Wort "Schuldig" zu sagen. - Girard hat den Grundsatz, es dürfe keiner entwischen, der einmal vor das Tribunal gestellt sei. Renaudin...

        Fouquier. Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch.

        Herman. Sei ruhig! Vor einigen Tagen kommt er zu mir und verlangt, man solle allen Verurteilten vor der Hinrichtung zur Ader lassen, um sie ein wenig matt zu machen; ihre meist trotzige Haltung ärgere ihn.

        Fouquier. Ach, sehr gut. Also ich verlasse mich!

        Herman. Lass mich nur machen!

        
Dritte Szene


        Die Conciergerie. Ein Korridor. Lacroix, Danton, Mercier und andre Gefangne auf und ab gehend.

        Lacroix (zu einem Gefangnen). Wie, so viel Unglückliche, und in einem so elenden Zustande?

        Der Gefangne. Haben Ihnen die Guillotinenkarren nie gesagt, dass Paris eine Schlachtbank sei?

        Mercier. Nicht wahr, Lacroix, die Gleichheit schwingt ihre Sichel über allen Häuptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine republikanisiert! Da klatschen die Galerien, und die Römer reiben sich die Hände; aber sie hören nicht, dass jedes dieser Worte das Röcheln eines Opfers ist. Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo sie verkörpert werden. - Blickt um euch, das alles habt ihr gesprochen; es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte. Diese Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen Reden. Ihr bautet eure Systeme, wie Bajazet seine Pyramiden, aus Menschenköpfen.

        Danton. Du hast recht - man arbeitet heutzutag alles in Menschenfleisch. Das ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht. Es ist grade ein Jahr, dass ich das Revolutionstribunal schuf. Ich bitte Gott und Menschen dafür um Verzeihung; ich wollte neuen Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte die Unschuldigen zu retten, aber dies langsame Morden mit seinen Formalitäten ist grässlicher und ebenso unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie alle diesen Ort verlassen zu machen.

        Mercier. Oh, herausgehen werden wir.

        Danton. Ich bin jetzt bei Ihnen; der Himmel weiß, wie das enden soll.

        
Vierte Szene


        Das Revolutionstribunal

        Herman (zu Danton). Ihr Name, Bürger.

        Danton. Die Revolution nennt meinen Namen. Meine Wohnung ist bald im Nichts und mein Name im Pantheon der Geschichte.

        Herman. Danton, der Konvent beschuldigt Sie, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans, mit den Girondisten, den Fremden und der Faktion Ludwigs des XVII. konspiriert zu haben.

        Danton. Meine Stimme, die ich so oft für die Sache des Volkes ertönen ließ, wird ohne Mühe die Verleumdung zurückweisen. Die Elenden, welche mich anklagen, mögen hier erscheinen, und ich werde sie mit Schande bedecken. Die Ausschüsse mögen sich hierher begeben, ich werde nur vor ihnen antworten. Ich habe sie als Kläger und als Zeugen nötig. Sie mögen sich zeigen.

        Übrigens, was liegt mir an euch und eurem Urteil? Ich hab es euch schon gesagt: das Nichts wird bald mein Asyl sein; - das Leben ist mir zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es abzuschütteln.

        Herman. Danton, die Kühnheit ist dem Verbrecher, die Ruhe der Unschuld eigen.

        Danton. Privatkühnheit ist ohne Zweifel zu tadeln, aber jene Nationalkühnheit, die ich so oft gezeigt, mit welcher ich so oft für die Freiheit gekämpft habe, ist die verdienstvollste aller Tugenden. - Sie ist meine Kühnheit, sie ist es, der ich mich hier zum Besten der Republik gegen meine erbärmlichen Ankläger bediene. Kann ich mich fassen, wenn ich mich auf eine so niedrige Weise verleumdet sehe? - Von einem Revolutionär wie ich darf man keine kalte Verteidigung erwarten. Männer meines Schlages sind in Revolutionen unschätzbar, auf ihrer Stirne schwebt das Genie der Freiheit. (Zeichen von Beifall unter den Zuhörern.)

        Mich klagt man an, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans konspiriert, zu den Füßen elender Despoten gekrochen zu haben; mich fordert man auf, vor der unentrinnbaren, unbeugsamen Gerechtigkeit zu antworten. - Du elender St. Just wirst der Nachwelt für diese Lästerung verantwortlich sein!

        Herman. Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten; gedenken Sie Marats, er trat mit Ehrfurcht vor seine Richter.

        Danton. Sie haben die Hände an mein ganzes Leben gelegt, so mag es sich denn aufrichten und ihnen entgegentreten; unter dem Gewichte jeder meiner Handlungen werde ich sie begraben. - Ich bin nicht stolz darauf. Das Schicksal führt uns den Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine Organe.

        Ich habe auf dem Marsfelde dem Königtume den Krieg erklärt, ich habe es am 10. August geschlagen, ich habe es am 21. Januar getötet und den Königen einen Königskopf als Fehdehandschuh hingeworfen. (Wiederholte Zeichen von Beifall. - Er nimmt die Anklageakte.) Wenn ich einen Blick auf diese Schandschrift werfe, fühle ich mein ganzes Wesen beben. Wer sind denn die, welche Danton nötigen mussten, sich an jenem denkwürdigen Tage (dem 10. August) zu zeigen? Wer sind denn die privilegierten Wesen, von denen er seine Energie borgte? - Meine Ankläger mögen erscheinen! Ich bin ganz bei Sinnen, wenn ich es verlange. Ich werde die platten Schurken entlarven und sie in das Nichts zurückschleudern, aus dem sie nie hätten hervorkriechen sollen.

        Herman (schellt). Hören Sie die Klingel nicht?

        Danton. Die Stimme eines Menschen, welcher seine Ehre und sein Leben verteidigt, muss deine Schelle überschreien.

        Ich habe im September die junge Brut der Revolution mit den zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt. Meine Stimme hat aus dem Golde der Aristokraten und Reichen dem Volke Waffen geschmiedet. Meine Stimme war der Orkan, welcher die Satelliten des Despotismus unter Wogen von Bajonetten begrub. (Lauter Beifall.)

        Herman. Danton, Ihre Stimme ist erschöpft, Sie sind zu heftig bewegt. Sie werden das nächste Mal Ihre Verteidigung beschließen, Sie haben Ruhe nötig. - Die Sitzung ist aufgehoben.

        Danton. Jetzt kennt Ihr Danton - noch wenige Stunden, und er wird in den Armen des Ruhmes entschlummern.

        
Fünfte Szene


        Das Luxembourg. Ein Kerker. Dillon. Laflotte. Ein Gefangenwärter.

        Dillon. Kerl, leuchte mir mit deiner Nase nicht so ins Gesicht. Hä, hä, hä!

        Laflotte. Halte den Mund zu, deine Mondsichel hat einen Hof. Hä, hä, hä!

        Wärter. Hä, hä, hä! Glaubt Ihr, Herr, dass Ihr bei ihrem Schein lesen könntet? (Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.)

        Dillon. Gib her!

        Wärter. Herr, meine Mondsichel hat Ebbe bei mir gemacht.

        Laflotte. Deine Hosen sehen aus, als ob Flut wäre.

        Wärter. Nein, sie zieht Wasser. (Zu Dillon:) Sie hat sich vor Eurer Sonne verkrochen, Herr; Ihr müsst mir was geben, das sie wieder feurig macht, wenn Ihr dabei lesen wollt.

        Dillon. Da, Kerl! Pack dich! (Er gibt ihm Geld. Wärter ab. - Dillon liest:) Danton hat das Tribunal erschreckt, die Geschwornen schwankten, die Zuhörer murrten. Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drängte sich um den Justizpalast und stand bis zu den Brücken. Eine Handvoll Geld, ein Arm endlich - hin! hin! (Er geht auf und ab und schenkt sich von Zeit zu Zeit aus einer Flasche ein.) Hätt' ich nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde mich nicht so schlachten lassen. Ja, nur den Fuß auf der Gasse!

        Laflotte. Und auf dem Karren, das ist eins.

        Dillon. Meinst du? Da lägen noch ein paar Schritte dazwischen, lange genug, um sie mit den Leichen der Dezemvirn zu messen. - Es ist endlich Zeit, dass die rechtschaffnen Leute das Haupt erheben.

        Laflotte (für sich). Desto besser, um so leichter ist es zu treffen. Nur zu, Alter; noch einige Gläser, und ich werde flott.

        Dillon. Die Schurken, die Narren, sie werden sich zuletzt noch selbst guillotinieren. (Er läuft auf und ab.)

        Laflotte (beiseite). Man könnte das Leben ordentlich wieder liebhaben, wie sein Kind, wenn man sich's selbst gegeben. Das kommt gerade nicht oft vor, dass man so mit dem Zufall Blutschande treiben und sein eigner Vater werden kann. Vater und Kind zugleich. Ein behaglicher Ödipus!

        Dillon. Man füttert das Volk nicht mit Leichen; Dantons und Camilles Weiber mögen Assignaten unter das Volk werfen, das ist besser als Köpfe.

        Laflotte (beiseite). Ich würde mir hintennach die Augen nicht ausreißen; ich könnte sie nötig haben, um den guten General zu beweinen.

        Dillon. Die Hand an Danton! Wer ist noch sicher? Die Furcht wird sie vereinigen.

        Laflotte (beiseite). Er ist doch verloren. Was ist's denn, wenn ich auf eine Leiche trete, um aus dem Grab zu klettern?

        Dillon. Nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde Leute genug finden, alte Soldaten, Girondisten, Exadlige; wir erbrechen die Gefängnisse, wir müssen uns mit den Gefangnen verständigen.

        Laflotte (beiseite). Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schufterei. Was tut's? Ich hätte Lust, auch das zu versuchen; ich war bisher zu einseitig. Man bekommt Gewissensbisse, das ist doch eine Abwechslung; es ist nicht so unangenehm, seinen eignen Gestank zu riechen. - Die Aussicht auf die Guillotine ist mir langweilig geworden; so lang auf die Sache zu warten! Ich habe sie im Geist schon zwanzigmal durchprobiert. Es ist auch gar nichts Pikantes mehr dran; es ist ganz gemein geworden.

        Dillon. Man muss Dantons Frau ein Billett zukommen lassen.

        Laflotte (beiseite). Und dann - ich fürchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es könnte wehe tun, wer steht mir dafür? Man sagt zwar, es sei nur ein Augenblick; aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß, er zerlegt eine Tertie. Nein! Der Schmerz ist die einzige Sünde, und das Leiden ist das einzige Laster; ich werde tugendhaft bleiben.

        Dillon. Höre, Laflotte, wo ist der Kerl hingekommen? Ich habe Geld, das muss gehen. Wir müssen das Eisen schmieden; mein Plan ist fertig.

        Laflotte. Gleich, gleich! Ich kenne den Schließer, ich werde mit ihm sprechen. Du kannst auf mich zählen, General, wir werden aus dem Loch kommen - (für sich im Hinausgehn:) um in ein anderes zu gehen: ich in das weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab.

        
Sechste Szene


        Der Wohlfahrtsausschuss. St. Just. Barère. Collot d'Herbois. Billaud-Varennes.

        Barère. Was schreibt Fouquier?

        St. Just. Das zweite Verhör ist vorbei. Die Gefangnen verlangen das Erscheinen mehrerer Mitglieder des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses; sie appellierten an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen. Die Bewegung der Gemüter soll unbeschreiblich sein. - Danton parodierte den Jupiter und schüttelte die Locken.

        Collot. Um so leichter wird ihn Samson daran packen.

        Barère. Wir dürfen uns nicht zeigen, die Fischweiber und die Lumpensammler könnten uns weniger imposant finden.

        Billaud. Das Volk hat einen Instinkt, sich treten zu lassen, und wäre es nur mit Blicken; dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche Stirnen sind ärger als ein adliges Wappen, der feine Aristokratismus der Menschenverachtung sitzt auf ihnen. Es sollte sie jeder einschlagen helfen, den es verdrießt, einen Blick von oben herunter zu erhalten.

        Barère. Er ist wie der hörnerne Siegfried, das Blut der Septembrisierten hat ihn unverwundbar gemacht. Was sagt Robespierre?

        St. Just. Er tut, als ob er etwas zu sagen hätte. Die Geschwornen müssen sich für hinlänglich unterrichtet erklären und die Debatten schließen.

        Barère. Unmöglich, das geht nicht.

        St. Just. Sie müssen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen Händen erwürgen. Wagt! Danton soll uns das Wort nicht umsonst gelehrt haben. Die Revolution wird über ihre Leichen nicht stolpern; aber bleibt Danton am Leben, so wird er sie am Gewand fassen, und er hat etwas in seiner Gestalt, als ob er die Freiheit notzüchtigen könnte. (St. Just wird hinausgerufen.)

        (Ein Schließer tritt ein.)

        Schließer. In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt.

        Billaud. Das ist unnötig, so viel Mühe weniger für den Scharfrichter.

        Schließer. Es sind schwangere Weiber dabei.

        Billaud. Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg.

        Barère. Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine Sitzung. Jede Arznei wäre contrerevolutionär.

        Collot (nimmt ein Papier). Eine Bittschrift, ein Weibername!

        Barère. Wohl eine von denen, die gezwungen sein möchten, zwischen einem Guillotinenbrett und dem Bett eines Jakobiners zu wählen. Die wie Lukretia nach dem Verlust ihrer Ehre sterben, aber etwas später als die Römerin: im Kindbett oder am Krebs oder aus Altersschwäche. - Es mag nicht so unangenehm sein, einen Tarquinius aus der Tugendrepublik einer Jungfrau zu treiben.

        Collot. Sie ist zu alt. Madame verlangt den Tod, sie weiß sich auszudrücken: das Gefängnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel; sie sitzt erst seit vier Wochen. Die Antwort ist leicht. (Er schreibt und liest:) "Bürgerin, es ist noch nicht lange genug, dass du den Tod wünschest." (Schließer ab.)

        Barère. Gut gesagt! Aber, Collot, es ist nicht gut, dass die Guillotine zu lachen anfängt; die Leute haben sonst keine Furcht mehr davor; man muss sich nicht so familiär machen. (St. Just kommt zurück.)

        St. Just. Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den Gefängnissen; ein junger Mensch namens Laflotte hat alles entdeckt. Er saß mit Dillon im nämlichen Zimmer, Dillon hat getrunken und geplaudert.

        Barère. Er schneidet sich mit seiner Bouteille den Hals ab; das ist schon mehr vorgekommen.

        St. Just. Dantons und Camilles Weiber sollen Geld unter das Volk werfen, Dillon soll ausbrechen, man will die Gefangnen befreien, der Konvent soll gesprengt werden.

        Barère. Das sind Märchen.

        St. Just. Wir werden sie aber mit dem Märchen in Schlaf erzählen. Die Anzeige habe ich in Händen; dazu die Keckheit der Angeklagten, das Murren des Volks, die Bestürzung der Geschwornen - ich werde einen Bericht machen.

        Barère. Ja, geh, St. Just, und spinne deine Perioden, worin jedes Komma ein Säbelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf ist!

        St. Just. Der Konvent muss dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den Prozess fortführen und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem Gerichte schuldige Achtung verletzte oder störende Auftritte veranlasste, von den Debatten ausschließen.

        Barère. Du hast einen revolutionären Instinkt; das lautet ganz gemäßigt und wird doch seine Wirkung tun. Sie können nicht schweigen, Danton muss schreien.

        St. Just. Ich zähle auf eure Unterstützung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso krank sind wie Danton und welche die nämliche Kur fürchten. Sie haben wieder Mut bekommen, sie werden über Verletzung der Formen schreien...

        Barère (ihn unterbrechend). Ich werde ihnen sagen: Zu Rom wurde der Konsul, welcher die Verschwörung des Katilina entdeckte und die Verbrecher auf der Stelle mit dem Tod bestrafte, der verletzten Förmlichkeit angeklagt. Wer waren seine Ankläger?

        Collot (mit Pathos). Geh, St. Just! Die Lava der Revolution fließt. Die Freiheit wird die Schwächlinge, welche ihren mächtigen Schoß befruchten wollten, in ihren Umarmungen ersticken; die Majestät des Volks wird ihnen wie Jupiter der Semele unter Donner und Blitz erscheinen und sie in Asche verwandeln. Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf die Häupter der Feiglinge zu schleudern! (St. Just ab.)

        Barère. Hast du das Wort Kur gehört? Sie werden noch aus der Guillotine ein Spezifikum gegen die Lustseuche machen. Sie kämpfen nicht mit den Moderierten, sie kämpfen mit dem Laster.

        Billaud. Bis jetzt geht unser Weg zusammen.

        Barère. Robespierre will aus der Revolution einen Hörsaal für Moral machen und die Guillotine als Katheder gebrauchen.

        Billaud. Oder als Betschemel.

        Collot. Auf dem er aber alsdann nicht stehen, sondern liegen soll.

        Barère. Das wird leicht gehen. Die Welt müsste auf dem Kopf stehen, wenn die sogenannten Spitzbuben von den sogenannten rechtlichen Leuten gehängt werden sollten.

        Collot (zu Barère). Wann kommst du wieder nach Clichy?

        Barère. Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt.

        Collot. Nicht wahr, über dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen versengenden Strahlen dein Rückenmark ganz ausgedörrt wird?

        Billaud. Nächstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demaly es ihm aus dem Futterale ziehen und es als Zöpfchen über den Rücken hinunterhängen machen.

        Barère (zuckt die Achseln). Pst! davon darf der Tugendhafte nichts wissen.

        Billaud. Er ist ein impotenter Masoret. (Billaud und Collot ab.)

        Barère (allein). Die Ungeheuer! - "Es ist noch nicht lange genug, dass du den Tod wünschest!" Diese Worte hätten die Zunge müssen verdorren machen, die sie gesprochen. Und ich? - Als die Septembriseurs in die Gefängnisse drangen, fasst ein Gefangner sein Messer, er drängt sich unter die Mörder, er stößt es in die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider haben? Ob ich mich nun unter die Mörder dränge oder mich in den Wohlfahrtsausschuss setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein Taschenmesser nehme? Es ist der nämliche Fall, nur mit etwas verwickelteren Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich. - Und durft' er einen morden: durft' er auch zwei, auch drei, auch noch mehr? wo hört das auf? Da kommen die Gerstenkörner! Machen zwei einen Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein Hühnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter! Doch - war ich auch Gefangner? Verdächtig war ich, das läuft auf eins hinaus; der Tod war mir gewiss. (Ab.)

        
Siebente Szene


        Die Conciergerie. Lacroix. Danton. Philippeau. Camille.

        Lacroix. Du hast gut geschrien, Danton; hättest du dich etwas früher so um dein Leben gequält, es wäre jetzt anders. Nicht wahr, wenn der Tod einem so unverschämt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer zudringlicher wird?

        Camille. Wenn er einen noch notzüchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf aus den heißen Gliedern riss! Aber so in allen Formalitäten wie bei der Hochzeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt, wie die Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt und wie dann die Bettdecke gehoben wird und es langsam hereinkriecht mit seinen kalten Gliedern!

        Danton. Wär' es ein Kampf, dass die Arme und Zähne einander packten! Aber es ist mir, als wäre ich in ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht. So mechanisch getötet zu werden!

        Camille. Und dann daliegen allein, kalt, steif in dem feuchten Dunst der Fäulnis - vielleicht, dass einem der Tod das Leben langsam aus den Fibern martert - mit Bewusstsein vielleicht sich wegzufaulen!

        Philippeau. Seid ruhig, meine Freunde! Wir sind wie die Herbstzeitlose, welche erst nach dem Winter Samen trägt. Von Blumen, die versetzt werden, unterscheiden wir uns nur dadurch, dass wir über dem Versuch ein wenig stinken. Ist das so arg?

        Danton. Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! Nicht wahr, die göttliche Klassentheorie? Von Prima nach Sekunda, von Sekunda nach Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbänke satt, ich habe mir Gesäßschwielen wie ein Affe darauf gesessen.

        Philippeau. Was willst du denn?

        Danton. Ruhe.

        Philippeau. Die ist in Gott.

        Danton. Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers als das Nichts, und wenn die höchste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheist. Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und ich bin etwas, das ist der Jammer! - Die Schöpfung hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab, worin es fault. - Das lautet verrückt, es ist aber doch was Wahres daran.

        Camille. Die Welt ist der Ewige Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist unmöglich. Oh, nicht sterben können, nicht sterben können! wie es im Lied heißt.

        Danton. Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in unsern Röcken und Hemden. - Wir kratzen fünfzig Jahre lang am Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. - Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze Unterschied! - Aber ich bin gerad einmal an diese Art des Faulens gewöhnt; der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurechtkomme. O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! - Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste: ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr. - Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir sind noch nicht geschlagen. Wir müssen schreien; sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.

        Lacroix. Wir müssen auf unsrer Forderung bestehen; unsre Ankläger und die Ausschüsse müssen vor dem Tribunal erscheinen.

        
Achte Szene


        Ein Zimmer. Fouquier. Amar. Vouland.

        Fouquier. Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll; sie fordern eine Kommission.

        Amar. Wir haben die Schurken: da hast du, was du verlangst. (Er überreicht Fouquier ein Papier.)

        Vouland. Das wird sie zufriedenstellen.

        Fouquier. Wahrhaftig, das hatten wir nötig.

        Amar. Nun mache, dass wir und sie die Sache vom Hals bekommen.

        
Neunte Szene


        Das Revolutionstribunal.

        Danton. Die Republik ist in Gefahr, und er hat keine Instruktion! Wir appellieren an das Volk; meine Stimme ist noch stark genug, um den Dezemvirn die Leichenrede zu halten. - Ich wiederhole es, wir verlangen eine Kommission; wir haben wichtige Entdeckungen zu machen. Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zurückziehen, ich werde mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen. (Zeichen des Beifalls. Fouquier, Amar und Vouland treten ein.)

        Fouquier. Ruhe im Namen der Republik, Achtung dem Gesetz! Der Konvent beschließt: In Betracht, dass in den Gefängnissen sich Spuren von Meutereien zeigen, in Betracht, dass Dantons und Camilles Weiber Geld unter das Volk werfen und dass der General Dillon ausbrechen und sich an die Spitze der Empörer stellen soll, um die Angeklagten zu befreien, in Betracht endlich, dass diese selbst unruhige Auftritte herbeizuführen sich bemüht und das Tribunal zu beleidigen versucht haben, wird das Tribunal ermächtigt, die Untersuchung ohne Unterbrechung fortzusetzen und jeden Angeklagten, der die dem Gesetze schuldige Ehrfurcht außer Augen setzen sollte, von den Debatten auszuschließen.

        Danton. Ich frage die Anwesenden, ob wir dem Tribunal, dem Volke oder dem Nationalkonvent Hohn gesprochen haben?

        Viele Stimmen. Nein! Nein!

        Camille. Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!

        Danton. Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Unglück über Frankreich hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über unsere Leichen. (Auf Amar und Vouland deutend:) Seht da die feigen Mörder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses!

        Ich klage Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an. - Sie wollen die Republik im Blut ersticken. Die Gleise der Guillotinenkarren sind die Heerstraßen, auf welchen die Fremden in das Herz des Vaterlandes dringen sollen.

        Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein? - Ihr wollt Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch das Blut von den Stufen der Guillotine lecken! (Heftige Bewegung unter den Zuhörern, Geschrei des Beifalls.)

        Viele Stimmen. Es lebe Danton, nieder mit den Dezemvirn! (Die Gefangnen werden mit Gewalt hinausgeführt.)

        
Zehnte Szene


        Platz vor dem Justizpalast. Ein Volkshaufe.

        Einige Stimmen. Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton!

        Erster Bürger. Ja, das ist wahr, Köpfe statt Brot, Blut statt Wein!

        Einige Weiber. Die Guillotine ist eine schlechte Mühle und Samson ein schlechter Bäckerknecht; wir wollen Brot, Brot!

        Zweiter Bürger. Euer Brot, das hat Danton gefressen. Sein Kopf wird euch allen wieder Brot geben, er hatte recht.

        Erster Bürger. Danton war unter uns am 10. August, Danton war unter uns im September. Wo waren die Leute, welche ihn angeklagt haben?

        Zweiter Bürger. Und Lafayette war mit euch in Versailles und war doch ein Verräter.

        Erster Bürger. Wer sagt, dass Danton ein Verräter sei?

        Zweiter Bürger. Robespierre.

        Erster Bürger. Und Robespierre ist ein Verräter!

        Zweiter Bürger. Wer sagt das?

        Erster Bürger. Danton.

        Zweiter Bürger. Danton hat schöne Kleider, Danton hat ein schönes Haus, Danton hat eine schöne Frau, er badet sich in Burgunder, isst das Wildbret von silbernen Tellern und schläft bei euren Weibern und Töchtern, wenn er betrunken ist. - Danton war arm wie ihr. Woher hat er das alles? Das Veto hat es ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. Der Herzog von Orléans hat es ihm geschenkt, damit er ihm die Krone stehle. Der Fremde hat es ihm gegeben, damit er euch alle verrate. - Was hat Robespierre? Der tugendhafte Robespierre! Ihr kennt ihn alle.

        Alle. Es lebe Robespierre! Nieder mit Danton! Nieder mit dem Verräter!

        
Vierter Akt

        
Erste Szene


        Ein Zimmer. Julie. Ein Knabe.

        Julie. Es ist aus. Sie zitterten vor ihm. Sie töten ihn aus Furcht. Geh! ich habe ihn zum letzten Mal gesehen; sag ihm, ich könne ihn nicht so sehen. (Sie gibt ihm eine Locke.) Da, bring ihm das und sag ihm, er würde nicht allein gehn - er versteht mich schon. Und dann schnell zurück, ich will seine Blicke aus deinen Augen lesen.

        
Zweite Szene


        Eine Straße. Dumas. Ein Bürger.

        Bürger. Wie kann man nach einem solchen Verhör soviel Unschuldige zum Tod verurteilen?

        Dumas. Das ist in der Tat außerordentlich; aber die Revolutionsmänner haben einen Sinn, der andern Menschen fehlt, und dieser Sinn trügt sie nie.

        Bürger. Das ist der Sinn des Tigers. - Du hast ein Weib.

        Dumas. Ich werde bald eins gehabt haben.

        Bürger. So ist es denn wahr?

        Dumas. Das Revolutionstribunal wird unsere Ehescheidung aussprechen; die Guillotine wird uns von Tisch und Bett trennen.

        Bürger. Du bist ein Ungeheuer!

        Dumas. Schwachkopf! Du bewunderst Brutus?

        Bürger. Von ganzer Seele.

        Dumas. Muss man denn gerade römischer Konsul sein und sein Haupt mit der Toga verhüllen können, um sein Liebstes dem Vaterlande zu opfern? Ich werde mir die Augen mit dem Ärmel meines roten Fracks abwischen; das ist der ganze Unterschied.

        Bürger. Das ist entsetzlich!

        Dumas. Geh, du begreifst mich nicht! (Sie gehen ab.)

        
Dritte Szene


        Die Conciergerie. Lacroix, Hérault auf einem Bett, Danton, Camille auf einem andern.

        Lacroix. Die Haare wachsen einem so und die Nägel, man muss sich wirklich schämen.

        Hérault. Nehmen Sie sich ein wenig in acht, Sie niesen mir das ganze Gesicht voll Sand!

        Lacroix. Und treten Sie mir nicht so auf die Füße, Bester, ich habe Hühneraugen!

        Hérault. Sie leiden noch an Ungeziefer.

        Lacroix. Ach, wenn ich nur einmal die Würmer ganz los wäre!

        Hérault. Nun, schlafen Sie wohl! wir müssen sehen, wie wir miteinander zurechtkommen, wir haben wenig Raum. - Kratzen Sie mich nicht mit Ihren Nägeln im Schlaf! - So! Zerren Sie nicht so am Leichtuch, es ist kalt da unten! -

        Danton. Ja, Camille, morgen sind wir durchgelaufne Schuhe, die man der Bettlerin Erde in den Schoß wirft.

        Camille. Das Rindsleder, woraus nach Platon die Engel sich Pantoffeln geschnitten und damit auf der Erde herumtappen. Es geht aber auch danach. - Meine Lucile!

        Danton. Sei ruhig, mein Junge!

        Camille. Kann ich's? Glaubst du, Danton? Kann ich's? Sie können die Hände nicht an sie legen! Das Licht der Schönheit, das von ihrem süßen Leib sich ausgießt, ist unlöschbar. Sieh, die Erde würde nicht wagen, sie zu verschütten; sie würde sich um sie wölben, der Grabdunst würde wie Tau an ihren Wimpern funkeln, Kristalle würden wie Blumen um ihre Glieder sprießen und helle Quellen in Schlaf sie murmeln.

        Danton. Schlafe, mein Junge, schlafe!

        Camille. Höre, Danton, unter uns gesagt, es ist so elend, sterben müssen. Es hilft auch zu nichts. Ich will dem Leben noch die letzten Blicke aus seinen hübschen Augen stehlen, ich will die Augen offen haben.

        Danton. Du wirst sie ohnehin offen behalten, Samson drückt einem die Augen nicht zu. Der Schlaf ist barmherziger. Schlafe, mein Junge, schlafe!

        Camille. Lucile, deine Küsse phantasieren auf meinen Lippen; jeder Kuss wird ein Traum, meine Augen sinken und schließen ihn fest ein. -

        Danton. Will denn die Uhr nicht ruhen? Mit jedem Picken schiebt sie die Wände enger um mich, bis sie so eng sind wie ein Sarg. - Ich las einmal als Kind so 'ne Geschichte, die Haare standen mir zu Berg. Ja, als Kind! Das war der Mühe wert, mich so groß zu füttern und mich warm zu halten. Bloß Arbeit für den Totengräber!

        Es ist mir, als röch' ich schon. Mein lieber Leib, ich will mir die Nase zuhalten und mir einbilden, du seist ein Frauenzimmer, was vom Tanzen schwitzt und stinkt, und dir Artigkeiten sagen. Wir haben uns sonst schon mehr miteinander die Zeit vertrieben.

        Morgen bist du eine zerbrochene Fiedel; die Melodie darauf ist ausgespielt. Morgen bist du eine leere Bouteille; der Wein ist ausgetrunken, aber ich habe keinen Rausch davon und gehe nüchtern zu Bett - das sind glückliche Leute, die sich noch besaufen können. Morgen bist du eine durchgerutschte Hose; du wirst in die Garderobe geworfen, und die Motten werden dich fressen, du magst stinken, wie du willst.

        Ach, das hilft nichts! Jawohl, es ist so elend, sterben müssen. Der Tod äfft die Geburt; beim Sterben sind wir so hilflos und nackt wie neugeborne Kinder. Freilich, wir bekommen das Leichentuch zur Windel. Was wird es helfen? Wir können im Grab so gut wimmern wie in der Wiege.

        Camille! Er schläft; (indem er sich über ihn bückt:) ein Traum spielt zwischen seinen Wimpern. Ich will den goldnen Tau des Schlafes ihm nicht von den Augen streifen (Er erhebt sich und tritt ans Fenster.) Ich werde nicht allein gehn: ich danke dir, Julie! doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eignen Lippen rotküsst, wie ein Lichtstrahl in klaren Fluten sich begräbt. - Wie schimmernde Tränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt; es muss ein großer Jammer in dem Aug' sein, von dem sie abträufelten.

        Camille. Oh! (Er hat sich aufgerichtet und tastet nach der Decke.)

        Danton. Was hast du, Camille?

        Camille. Oh, oh!

        Danton (schüttelt ihn). Willst du die Decke herunterkratzen?

        Camille. Ach du, du - o halt mich! sprich, du!

        Danton. Du bebst an allen Gliedern, der Schweiß steht dir auf der Stirne.

        Camille. Das bist du, das ich - so! Das ist meine Hand! Ja! jetzt besinn ich mich. O Danton, das war entsetzlich!

        Danton. Was denn?

        Camille. Ich lag so zwischen Traum und Wachen. Da schwand die Decke, und der Mond sank herein, ganz nahe, ganz dicht, mein Arm erfasst' ihn. Die Himmelsdecke mit ihren Lichtern hatte sich gesenkt, ich stieß daran, ich betastete die Sterne, ich taumelte wie ein Ertrinkender unter der Eisdecke. Das war entsetzlich, Danton!

        Danton. Die Lampe wirft einen runden Schein an die Decke, das sahst du.

        Camille. Meinetwegen, es braucht grade nicht viel, um einem das bisschen Verstand verlieren zu machen. Der Wahnsinn fasste mich bei den Haaren. (Er erhebt sich.) Ich mag nicht mehr schlafen, ich mag nicht verrückt werden. (Er greift nach einem Buch.)

        Danton. Was nimmst du?

        Camille. Die Nachtgedanken.

        Danton. Willst du zum voraus sterben? Ich nehme die Pucelle. Ich will mich aus dem Leben nicht wie aus dem Betstuhl, sondern wie aus dem Bett einer Barmherzigen Schwester wegschleichen. Es ist eine Hure; es treibt mit der ganzen Welt Unzucht.

        
Vierte Szene


        Platz vor der Conciergerie. Ein Schließer. Zwei Fuhrleute mit Karren. Weiber.

        Schließer. Wer hat euch herfahren geheißen?

        Erster Fuhrmann. Ich heiße nicht Herfahren, das ist ein kurioser Namen.

        Schließer. Dummkopf, wer hat dir die Bestallung dazu gegeben?

        Erster Fuhrmann. Ich habe keine Stallung dazu kriegt, nichts als zehn Sous für den Kopf.

        Zweiter Fuhrmann. Der Schuft will mich ums Brot bringen.

        Erster Fuhrmann. Was nennst du dein Brot? (Auf die Fenster der Gefangnen deutend:) Das ist Wurmfraß.

        Zweiter Fuhrmann. Meine Kinder sind auch Würmer, und die wollen auch ihr Teil davon. Oh, es geht schlecht mit unsrem Metier, und doch sind wir die besten Fuhrleute.

        Erster Fuhrmann. Wie das?

        Zweiter Fuhrmann. Wer ist der beste Fuhrmann?

        Erster Fuhrmann. Der am weitesten und am schnellsten fährt.

        Zweiter Fuhrmann. Nun, Esel, wer fährt weiter, als der aus der Welt fährt, und wer fährt schneller, als der's in einer Viertelstunde tut? Genau gemessen ist's eine Viertelstunde von da bis zum Revolutionsplatz.

        Schließer. Rasch, ihr Schlingel! Näher ans Tor; Platz da, ihr Mädel!

        Erster Fuhrmann. Halt't Euren Platz vor! Um ein Mädel fährt man nit herum, immer in die Mitt' 'nein.

        Zweiter Fuhrmann. Ja, das glaub ich: du kannst mit Karren und Gäulen hinein, du findst gute Gleise; aber du musst Quarantäne halten, wenn du herauskommst. (Sie fahren vor.)

        Zweiter Fuhrmann. (zu den Weibern). Was gafft ihr?

        Ein Weib. Wir warten auf alte Kunden.

        Zweiter Fuhrmann. Meint ihr, mein Karren wär' ein Bordell? Er ist ein anständiger Karren, er hat den König und alle vornehmen Herren aus Paris zur Tafel gefahren.

        Lucile (tritt auf. Sie setzt sich auf einen Stein unter die Fenster der Gefangnen). Camille, Camille! (Camille erscheint am Fenster.) Höre, Camille, du machst mich lachen mit dem langen Steinrock und der eisernen Maske vor dem Gesicht; kannst du dich nicht bücken? Wo sind deine Arme? - Ich will dich locken, lieber Vogel. (Singt:)

         Es stehn zwei Sternlein an dem Himmel,

         Scheinen heller als der Mond,

         Der ein' scheint vor Feinsliebchens Fenster,

         Der andre vor die Kammertür.

        Komm, komm, mein Freund! Leise die Treppe herauf, sie schlafen alle. Der Mond hilft mir schon lange warten. Aber du kannst ja nicht zum Tor herein, das ist eine unleidliche Tracht. Das ist zu arg für den Spaß, mach ein Ende! Du rührst dich auch gar nicht, warum sprichst du nicht? Du machst mir Angst. Höre! die Leute sagen, du müsstest sterben, und machen dazu so ernsthafte Gesichter. Sterben! ich muss lachen über die Gesichter. Sterben! Was ist das für ein Wort? Sag mir's, Camille. Sterben! Ich will nachdenken. Da, da ist's. Ich will ihm nachlaufen; komm, süßer Freund, hilf mir fangen, komm! komm! (Sie läuft weg.)

        Camille (ruft). Lucile! Lucile!

        
Fünfte Szene


        Die Conciergerie. Danton an einem Fenster, was ins nächste Zimmer geht. Camille. Philippeau. Lacroix. Hérault.

        Danton. Du bist jetzt ruhig, Fabre.

        Eine Stimme (von innen). Am Sterben.

        Danton. Weißt du auch, was wir jetzt machen werden?

        Die Stimme. Nun?

        Danton. Was du dein ganzes Leben hindurch gemacht hast - des vers.

        Camille (für sich). Der Wahnsinn saß hinter ihren Augen. Es sind schon mehr Leute wahnsinnig geworden, das ist der Lauf der Welt. Was können wir dazu? Wir waschen unsere Hände -. Es ist auch besser so.

        Danton. Ich lasse alles in einer schrecklichen Verwirrung. Keiner versteht das Regieren. Es könnte vielleicht noch gehn, wenn ich Robespierre meine Huren und Couthon meine Waden hinterließe.

        Lacroix. Wir hätten die Freiheit zur Hure gemacht!

        Danton. Was wäre es auch! Die Freiheit und eine Hure sind die kosmopolitischsten Dinge unter der Sonne. Sie wird sich jetzt anständig im Ehebett des Advokaten von Arras prostituieren. Aber ich denke, sie wird die Klytämnestra gegen ihn spielen; ich lasse ihm keine sechs Monate Frist, ich ziehe ihn mit mir.

        Camille (für sich). Der Himmel verhelf ihr zu einer behaglichen fixen Idee. Die allgemeinen fixen Ideen, welche man die gesunde Vernunft tauft, sind unerträglich langweilig. Der glücklichste Mensch war der, welcher sich einbilden konnte, dass er Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist sei.

        Lacroix. Die Esel werden schreien "Es lebe die Republik", wenn wir vorbeigehen.

        Danton. Was liegt daran? Die Sündflut der Revolution mag unsere Leichen absetzen, wo sie will; mit unsern fossilen Knochen wird man noch immer allen Königen die Schädel einschlagen können.

        Hérault. Ja, wenn sich gerade ein Simson für unsere Kinnbacken findet.

        Danton. Sie sind Kainsbrüder.

        Lacroix. Nichts beweist mehr, dass Robespierre ein Nero ist, als der Umstand, dass er gegen Camille nie freundlicher war als zwei Tage vor dessen Verhaftung. Ist es nicht so, Camille?

        Camille. Meinetwegen, was geht das mich an? - (Für sich:) Was sie an dem Wahnsinn ein reizendes Kind geboren hat! Warum muss ich jetzt fort? Wir hätten zusammen mit ihm gelacht, es gewiegt und geküsst.

        Danton. Wenn einmal die Geschichte ihre Grüfte öffnet, kann der Despotismus noch immer an dem Duft unsrer Leichen ersticken.

        Hérault. Wir stanken bei Lebzeiten schon hinlänglich. - Das sind Phrasen für die Nachwelt, nicht wahr, Danton; uns gehn sie eigentlich nichts an.

        Camille. Er zieht ein Gesicht, als solle es versteinern und von der Nachwelt als Antike ausgegraben werden. Das verlohnt sich auch der Mühe, Mäulchen zu machen und Rot aufzulegen und mit einem guten Akzent zu sprechen; wir sollten einmal die Masken abnehmen, wir sähen dann, wie in einem Zimmer mit Spiegeln, überall nur den einen uralten, zahnlosen, unverwüstlichen Schafskopf, nichts mehr, nichts weniger. Die Unterschiede sind so groß nicht, wir alle sind Schurken und Engel, Dummköpfe und Genies, und zwar das alles in einem: die vier Dinge finden Platz genug in dem nämlichen Körper, sie sind nicht so breit, als man sich einbildet. Schlafen, Verdauen, Kinder machen - das treiben alle; die übrigen Dinge sind nur Variationen aus verschiedenen Tonarten über das nämliche Thema. Da braucht man sich auf die Zehen zu stellen und Gesichter zu schneiden, da braucht man sich voreinander zu genieren! Wir haben uns alle am nämlichen Tische krank gegessen und haben Leibgrimmen; was haltet ihr euch die Servietten vor das Gesicht? Schreit nur und greint, wie es euch ankommt! Schneidet nur keine so tugendhafte und so witzige und so heroische und so geniale Grimassen, wir kennen uns ja einander, spart euch die Mühe!

        Hérault. Ja, Camille, wir wollen uns beieinandersetzen und schreien; nichts dummer, als die Lippen zusammenzupressen, wenn einem was weh tut. - Griechen und Götter schrien, Römer und Stoiker machten die heroische Fratze.

        Danton. Die einen waren so gut Epikureer wie die andern. Sie machten sich ein ganz behagliches Selbstgefühl zurecht. Es ist nicht so übel, seine Toga zu drapieren und sich umzusehen, ob man einen langen Schatten wirft. Was sollen wir uns zerren? Ob wir uns nun Lorbeerblätter, Rosenkränze oder Weinlaub vor die Scham binden oder das hässliche Ding offen tragen und es uns von den Hunden lecken lassen?

        Philippeau. Meine Freunde, man braucht gerade nicht hoch über der Erde zu stehen, um von all dem wirren Schwanken und Flimmern nichts mehr zu sehen und die Augen von einigen großen, göttlichen Linien erfüllt zu haben. Es gibt ein Ohr, für welches das Ineinanderschreien und der Zeter, die uns betäuben, ein Strom von Harmonien sind.

        Danton. Aber wir sind die armen Musikanten und unsere Körper die Instrumente. Sind denn die hässlichen Töne, welche auf ihnen herausgepfuscht werden, nur da, um höher und höher dringend und endlich leise verhallend wie ein wollüstiger Hauch in himmlischen Ohren zu sterben?

        Hérault. Sind wir wie Ferkel, die man für fürstliche Tafeln mit Ruten totpeitscht, damit ihr Fleisch schmackhafter werde?

        Danton. Sind wir Kinder, die in den glühenden Molochsarmen dieser Welt gebraten und mit Lichtstrahlen gekitzelt werden, damit die Götter sich über ihr Lachen freuen?

        Camille. Ist denn der Äther mit seinen Goldaugen eine Schüssel mit Goldkarpfen, die am Tisch der seligen Götter steht, und die seligen Götter lachen ewig, und die Fische sterben ewig, und die Götter erfreuen sich ewig am Farbenspiel des Todeskampfes?

        Danton. Die Welt ist das Chaos. Das Nichts ist der zu gebärende Weltgott. (Der Schließer tritt ein.)

        Schließer. Meine Herren, Sie können abfahren, die Wagen halten vor der Tür.

        Philippeau. Gute Nacht, meine Freunde! Legen wir ruhig die große Decke über uns, worunter alle Herzen ausschlagen und alle Augen zufallen. (Sie umarmen einander.)

        Hérault. (nimmt Camilles Arm). Freue dich, Camille, wir bekommen eine schöne Nacht. Die Wolken hängen am stillen Abendhimmel wie ein ausglühender Olymp mit verbleichenden, versinkenden Göttergestalten. (Sie gehen ab.)

        
Sechste Szene


        Ein Zimmer

        Julie. Das Volk lief in den Gassen, jetzt ist alles still. Keinen Augenblick möchte ich ihn warten lassen. (Sie zieht eine Phiole hervor.) Komm, liebster Priester, dessen Amen uns zu Bette gehn macht. (Sie tritt ans Fenster.) Es ist so hübsch, Abschied zu nehmen; ich habe die Türe nur noch hinter mir zuzuziehen. (Sie trinkt.)

        Man möchte immer so stehn. - Die Sonne ist hinunter; der Erde Züge waren so scharf in ihrem Licht, doch jetzt ist ihr Gesicht so still und ernst wie einer Sterbenden. - Wie schön das Abendlicht ihr um Stirn und Wangen spielt. - Stets bleicher und bleicher wird sie, wie eine Leiche treibt sie abwärts in der Flut des Äthers. Will denn kein Arm sie bei den goldnen Locken fassen und aus dem Strom sie ziehen und sie begraben? Ich gehe leise. Ich küsse sie nicht, dass kein Hauch, kein Seufzer sie aus dem Schlummer wecke. - Schlafe, schlafe! (Sie stirbt.)

        
Siebente Szene


        Der Revolutionsplatz. Die Wagen kommen angefahren und halten vor der Guillotine. Männer und Weiber singen und tanzen die Carmagnole. Die Gefangenen stimmen die Marseillaise an.

        Ein Weib (mit Kindern). Platz! Platz! Die Kinder schreien, sie haben Hunger. Ich muss sie zusehen machen, dass sie still sind. Platz!

        Ein Weib. He, Danton, du kannst jetzt mit den Würmern Unzucht treiben.

        Eine andere. Hérault, aus deinen hübschen Haaren lass ich mir eine Perücke machen.

        Hérault. Ich habe nicht Waldung genug für einen so abgeholzten Venusberg.

        Camille. Verfluchte Hexen! Ihr werdet noch schreien: "Ihr Berge, fallet auf uns!"

        Ein Weib. Der Berg ist auf euch, oder ihr seid ihn vielmehr hinuntergefallen.

        Danton (zu Camille). Ruhig, mein Junge! Du hast dich heiser geschrien.

        Camille (gibt dem Fuhrmann Geld). Da, alter Charon, dein Karren ist ein guter Präsentierteller! - Meine Herren, ich will mich zuerst servieren. Das ist ein klassisches Gastmahl; wir liegen auf unsern Plätzen und verschütten etwas Blut als Libation. Adieu, Danton! (Er besteigt das Blutgerüst, die Gefangnen folgen ihm, einer nach dem andern. Danton steigt zuletzt hinauf.)

        Lacroix (zu dem Volk). Ihr tötet uns an dem Tage, wo ihr den Verstand verloren habt; ihr werdet sie an dem töten, wo ihr ihn wiederbekommt.

        Einige Stimmen. Das war schon einmal da; wie langweilig!

        Lacroix. Die Tyrannen werden über unsern Gräbern den Hals brechen.

        Hérault (zu Danton). Er hält seine Leiche für ein Mistbeet der Freiheit.

        Philippeau (auf dem Schafott). Ich vergebe euch; ich wünsche, eure Todesstunde sei nicht bittrer als die meinige.

        Hérault. Dacht' ich's doch! er muss sich noch einmal in den Busen greifen und den Leuten da unten zeigen, dass er reine Wäsche hat.

        Fabre. Lebe wohl, Danton! Ich sterbe doppelt.

        Danton. Adieu, mein Freund! Die Guillotine ist der beste Arzt.

        Hérault (will Danton umarmen). Ach, Danton, ich bringe nicht einmal einen Spaß mehr heraus. Da ist's Zeit. (Ein Henker stößt ihn zurück.)

        Danton (zum Henker). Willst du grausamer sein als der Tod? Kannst du verhindern, dass unsere Köpfe sich auf dem Boden des Korbes küssen?

        
Achte Szene


        Eine Straße

        Lucile. Es ist doch was wie Ernst darin. Ich will einmal nachdenken. Ich fange an, so was zu begreifen. Sterben - Sterben -! - Es darf ja alles leben, alles, die kleine Mücke da, der Vogel. Warum denn er nicht? Der Strom des Lebens müsste stocken, wenn nur der eine Tropfen verschüttet würde. Die Erde müsste eine Wunde bekommen von dem Streich.

        Es regt sich alles, die Uhren gehen, die Glocken schlagen, die Leute laufen, das Wasser rinnt, und so alles weiter bis da, dahin - nein, es darf nicht geschehen, nein, ich will mich auf den Boden setzen und schreien, dass erschrocken alles stehn bleibt, alles stockt, sich nichts mehr regt. (Sie setzt sich nieder, verhüllt sich die Augen und stößt einen Schrei aus. Nach einer Pause erhebt sie sich:) Das hilft nichts, da ist noch alles wie sonst; die Häuser, die Gasse, der Wind geht, die Wolken ziehen. - Wir müssen's wohl leiden. (Einige Weiber kommen die Gasse herunter.)

        Erstes Weib. Ein hübscher Mann, der Hérault!

        Zweites Weib. Wie er beim Konstitutionsfest so am Triumphbogen stand, da dacht' ich so, der muss sich gut auf der Guillotine ausnehmen, dacht' ich. Das war so 'ne Ahnung.

        Drittes Weib. Ja, man muss die Leute in allen Verhältnissen sehen; es ist recht gut, dass das Sterben so öffentlich wird. (Sie gehen vorbei.)

        Lucile. Mein Camille! Wo soll ich dich jetzt suchen?

        Neunte Szene

        Der Revolutionsplatz. Zwei Henker, an der Guillotine beschäftigt.

        Erster Henker (steht auf der Guillotine und singt).

         Und wann ich hame geh,

         Scheint der Mond so scheh...

        Zweiter Henker. He, holla! Bist bald fertig?

        Erster Henker. Gleich, gleich! (Singt:)

         Scheint in meines Ellervaters Fenster -

         Kerl, wo bleibst so lang bei de Menscher?

        So! Die Jacke her! (Sie gehn singend ab:)

         Und wann ich hame geh,

         Scheint der Mond so scheh...

        Lucile (tritt auf und setzt sich auf die Stufen der Guillotine). Ich setze mich auf deinen Schoß, du stiller Todesengel. (Sie singt:)

         Es ist ein Schnitter, der heißt Tod,

         Hat Gewalt vom höchsten Gott.

        Du liebe Wiege, die du meinen Camille in Schlaf gelullt, ihn unter

        deinen Rosen erstickt hast. Du Totenglocke, die du ihn mit deiner süßen Zunge zu Grabe sangst. (Sie singt:)

         Viel Hunderttausend ungezählt,

         Was nur unter die Sichel fällt.

        (Eine Patrouille tritt auf.)

        Ein Bürger. He, wer da?

        Lucile (sinnend und wie einen Entschluss fassend, plötzlich). Es lebe der König!

        Bürger. Im Namen der Republik! (Sie wird von der Wache umringt und weggeführt.)